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Wunder

Wunder

Titel: Wunder
Autoren: R.J. Palacio
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riesigen Zuschauerraum auf.
    Am anderen Ende des Raumes befand sich eine Bühne, und Charlotte begann, darauf zuzuhüpfen. Julian rannte hinter ihr her, und als er durch die Hälfte der Stuhlreihen gelaufen war, drehte er sich um.
    »Komm schon!«, sagte er laut und winkte mir zu, dass ich ihm folgen sollte, was ich dann auch tat.
    »An dem Abend saßen Hunderte Leute hier im Publikum«, sagte Charlotte, und ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass sie immer noch über Oliver! sprach. »Ich war ja so was von nervös. Ich hatte so viel Text und musste diese ganzen Songs singen. Das war super schwer!« Obwohl sie mit mir redete, sah sie mich nicht besonders oft an. »Bei der Premiere saßen meine Eltern ganz hinten, so in etwa da, wo Jack jetzt steht, aber wenn die Lichter aus sind, kannst du so weit gar nicht gucken. Deshalb hab ich bloß immer gesagt: Wo sind meine Eltern? Wo sind meine Eltern? Und Mr. Resnick, unser Theater-Lehrer vom letzten Jahr, hat dann zu mir gesagt: Charlotte, jetzt hör auf, so eine Diva zu sein! Und ich nur so: Okay! Und dann hab ich meine Eltern entdeckt, und dann war es total gut. Ich hab nicht ein einziges Mal meinen Text vergessen.«
    Während sie redete, fiel mir auf, dass Julian mich aus dem Augenwinkel anstarrte. Das ist etwas, was mir bei den Leuten sehr oft auffällt. Sie glauben, ich merke nicht, dass sie mich anstarren, aber ich kann es daran erkennen, wie sie ihre Köpfe neigen. Ich drehte mich um, weil ich sehen wollte, wo Jack hingegangen war. Er war im hinteren Teil der Aula geblieben, als fände er das alles langweilig.
    »Wir führen jedes Jahr ein Stück auf«, sagte Charlotte.
    »Ich glaube nicht, dass er bei einem Theaterstück mitspielen will, Charlotte«, sagte Julian sarkastisch.
    »Du kannst auch bei dem Stück mitmachen, ohne wirklich zu spielen«, gab Charlotte zurück und schaute mich an. »Du kannst die Beleuchtung machen. Du kannst die Hintergründe malen.«
    »Oh ja, yippie«, sagte Julian und wirbelte seinen Finger durch die Luft.
    »Aber das Theaterwahlfach musst du ja nicht belegen, wenn du nicht willst«, sagte Charlotte und zuckte mit den Schultern. »Es gibt auch Tanz und Chor und die Band. Und Rhetorik.«
    »Nur Streberspackos nehmen Rhetorik«, unterbrach Julian.
    »Julian, du bist so unausstehlich!«, sagte Charlotte, was Julian zum Lachen brachte.
    »Ich nehme Naturwissenschaft als Wahlfach«, sagte ich.
    »Cool«, sagte Charlotte.
    Julian schaute mich direkt an. »Naturwissenschaft ist unter aller Wahrscheinlichkeit das schwierigste Wahlfach überhaupt«, sagte er. »Ich will ja nichts sagen, aber wenn du noch nie zur Schule gegangen bist, glaubst du wirklich, dass du dann auf Anhieb clever genug bist, um Naturwissenschaft zu belegen? Ich meine, hast du überhaupt schon mal Chemie- oder Physikunterricht gehabt? Ich meine, so richtig, und nicht nur so Kindergartenkram?«
    »Ja.« Ich nickte.
    »Er ist zu Hause unterrichtet worden, Julian!«, sagte Charlotte.
    »Das heißt, Lehrer kommen zu ihm nach Hause?«, fragte Julian und sah verblüfft aus.
    »Nein, seine Mutter hat ihn unterrichtet«, erwiderte Charlotte.
    »Ist sie Lehrerin?«, fragte Julian.
    »Ist deine Mutter Lehrerin?«, fragte mich Charlotte.
    »Nein«, sagte ich.
    »Also ist sie keine echte Lehrerin!«, sagte Julian, als hätte er recht behalten. »Genau das mein ich. Wie kann jemand, der gar kein richtiger Lehrer ist, Naturwissenschaften unterrichten?«
    »Ich bin mir sicher, dass du das schaffst«, sagte Charlotte und schaute mich an.
    »Jetzt lasst uns einfach in die Bibliothek gehen«, rief Jack und klang echt gelangweilt.
    »Warum sind deine Haare so lang?«, fragte mich Julian. Er hörte sich genervt an.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb zuckte ich nur mit den Schultern.
    »Kann ich dich mal was fragen?«, sagte er.
    Ich zuckte wieder mit den Schultern. Hatte er mich nicht gerade schon was gefragt?
    »Was ist das mit deinem Gesicht? Ich meine, ist das bei einem Brand passiert, oder so?«
    »Julian, das ist unhöflich!«, sagte Charlotte.
    »Ich bin nicht unhöflich«, sagte Julian. »Ich stelle bloß ne Frage. Mr. Pomann hat gesagt, wir können ruhig Fragen stellen, wenn wir wollen.«
    »Aber keine unhöflichen Fragen«, sagte Charlotte. »Außerdem ist er so geboren worden. Das hat Mr. Pomann gesagt. Du hast bloß nicht zugehört.«
    »Ich hab so was von zugehört!«, sagte Julian. »Ich hab bloß gedacht, er wär vielleicht zusätzlich noch verbrannt
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