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Wumbabas Vermaechtnis

Titel: Wumbabas Vermaechtnis
Autoren: Axel Hacke , Michael Sowa
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an: Was mögen in all den Jahren, in denen unsere Nationalspieler nur leise die Lippen bewegend die Nationalhymne vor einem Länderspiel mitsangen, schon für wunderbare Texte entstanden sein, die wir nie hören konnten? Frau S. aus Obertrübenbach in der Oberpfalz schrieb, sie habe 1976 in der dritten Klasse die Nationalhymne von der Tafel abschreiben und den Text auswendig lernen müssen. Allerdings verschrieb sie sich bei einem einzigen Wort um eine Winzigkeit. Sie notierte nicht:
    »Einigkeit und Recht und Freiheit
    für das deutsche Vaterland,
    danach lasst uns alle streben,
    brüderlich mit Herz und Hand.«
    Sondern schrieb:
    »Danach lasst uns alle sterben ,
    brüderlich mit Herz und Hand.«
    So sagte sie den Text auch auf, während ihre Mutter sie abhörte, nur dass sie das »danach« nicht auf der ersten Silbe betonte, sondern auf der zweiten: »Danách lasst uns alle sterben.« Die ungenauen Einwände ihrer Mutter, da könne etwas nicht stimmen, wischte sie beiseite. In ihrer Vorstellung sollte das deutsche Volk Einigkeit und Recht und Freiheit bekommen, mehr könne ein Volk für sich nicht verlangen. »Und wenn man das hat, ja, dann – danách also – kann man getrost dahinscheiden. Vor allem, wenn man das nicht alleine tut, sondern brüderlich mit Herz und Hand. Also indem alle, die zum deutschen Volk gehören, sich inniglich an den Händen halten, selig zum Nationalhimmel blicken, seufzen ob derGewichtigkeit und des ganzen Glückes und dann getrost sterben. Am besten einfach umfallen oder so. Dazu vielleicht noch eine schwere klassische Orchestermusik. So stellte ich mir das vor.«
    Irgendwie denkt man da schon wieder an die elf Nationalspieler in ihren Töpfen, langsam vor sich hin brühend, sich die Hände reichend, sterbend vor Glück und Hitze, einen grundfalschen Hymnentext auf den Lippen.
    Wie jeder weiß, handelt es sich beim Erwähnten um die dritte Strophe des Deutschlandliedes, dessen erste Strophen von zivilisierten Mitbürgern nicht gesungen werden, ihres chauvinistischen Gehaltes wegen.
    Wobei auch hier ein kleiner Verhörer Wunder wirken kann.
    Herr W. schrieb mir, ein Freund habe eine Litauerin geheiratet, deren inzwischen mehr als neunzig Jahre alter Großvater nach einem Gläschen gerne singe, unter anderem das Deutschlandlied, das bei ihm aber so beginne:
    »Deutschland, Deutschland, liberales…«
    Leider habe er, so W., vergessen zu fragen, wie der Opa weitersinge, aber es böte sich doch an: »Deutschland, Deutschland, liberales, / liberalstes auf der Welt…«
    Er schreibt weiter: »Ich finde, es wäre grundsätzlich mal eine Überlegung wert, die gesamte umstrittene erste Strophe daraufhin abzuklopfen, ob da nicht noch mehr entschärfende Verhörer möglich wären, sodass man sie nicht mehr überspringen müsste.«
    Damit kann ich dienen. Denn Frau H. schrieb mir, sie selbst (Jahrgang 1933) sei im ersten Volksschuljahr mit allen anderen zu einem Appell auf den Schulhof gerufen worden, wo man aus einem Anlass, den sie vergessen habe, sofort das Deutschlandlied habe singen müssen. Sie selbst sang die oben erwähnten Zeilenkorrekt, also mit »Deutschland Deutschland, über alles«, dann aber weiter:
    »Wenn es stets zu Schutt und Trutze
    brüderlich zusammenfällt.«
    Sofort habe sie einen Rippenstoß von nebenan bekommen und ein Zischen gehört: »… zusammen hält .« Da habe sie gar nichts mehr verstanden: Wie sollte dieses Land zu »Schutt« zusammenhalten? Und was war überhaupt »Trutze«? Glücklicherweise sei niemand auf die Idee gekommen, »meine nicht linientreuen Eltern könnten mir diesen subversiven Text absichtlich beigebracht haben, das Ergebnis des Krieges antizipierend…«
    Die Wacht am Rhein möchte ich noch erwähnen. Frau M. schreibt, sie habe vor Jahren mit ihrer Mutter einen Ausflug zum Niederwald-Denkmal bei Rüdesheim gemacht, wo man auf einer Tafel den Text des Liedes lesen könne. Jemand trug ihn laut vor:
    »Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
    und aller Augen blitzen hell;
    der Deutsche, bieder, fromm und stark,
    beschützt die heil’ge Landesmark.«
    Ihre Mutter, so M., habe den Text wohl etwas seltsam gefunden, las ihn deshalb noch mal selbst nach und habe furchtbar zu lachen begonnen, denn sie hatte anfangs verstanden:
    »…der deutsche Biber fromm und stark,
    beschützt die heil’ge Landesmark.«
    Seitdem finde sie, schreibt M., den Text eigentlich ganz schön, verliere er doch viel Martialisches. Man habe einen kleinen Biber vor Augen, »der
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