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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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verändert ständig ihr Gesicht. Du kannst monatelang die gleiche Strecke fahren und glauben, daß sie dir vertraut ist. Und dann kommt ein Sandsturm, und du weißt nicht mehr, wo du bist. Stell dir eine Landschaft vor, die am Morgen da war, und am nächsten Tag ist sie weg.«
    »Klingt unheimlich, würde ich sagen.«
    »Findest du?«
    »Wann warst du das letzte Mal in Algerien?«
    »Vor vierundzwanzig Jahren.«
    »Da warst du ja noch ein Kind.«
    »Meine Mutter hat mich in der Wüste zur Welt gebracht.«
    »So? Interessant! Wem siehst du eigentlich ähnlich?«
    »Meinem Vater, glaube ich.«
    »Du bist blond…«
    »Kein bißchen nachgeholfen, siehst du?«
    Ich neigte den Kopf, zog die Strähnen auseinander. Wir lachten beide.
    »Tuareg sind anders«, sagte ich.
    »Inwiefern sind sie anders?«
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    »Anders«, sagte ich noch einmal und überlegte, wie ich es ausdrücken sollte.
    »Sie sind sehr überheblich. Ich glaube, sie mögen einfach nicht Algerier oder sonst etwas sein. Sie bekennen sich zum Islam, aber am Ende sind sie doch sehr eigenwillig dabei.«
    »Hast du noch Kontakt zu deiner Familie?«
    »Schon lange nicht mehr.«
    »Und wie ist deine Mutter in die Sahara gekommen?«
    »Das ist eine romantische Geschichte.«
    »Heutzutage liegen die wieder im Trend.«
    Fantine wollte, daß ich erzählte. Ich dachte an mein Filmprojekt und tat ihr den Gefallen.
    In Olivias Blumenkind-Jugend war Marbella längst nicht mehr ein erstrebenswertes Ziel; man reiste nach Goa, Afghanistan oder Katmandu. Die südliche Hemisphäre war der mystische Garten Eden. Man drehte dem Wohlstand genüßlich den Rücken, rauchte Haschisch, weissagte den Untergang des Abendlandes und predigte makrobiotische Eßkultur. Olivia spielte ihre Woodstock-Kassette, bis sie ausgefranst war, und reiste in die Sahara. »Ich war gegen alles, was zum Atmen nicht nötig war und den Körper einengte. Meine Seele sollte fliegen wie ein Schmetterling.« Olivia wuchsen keine Flügel, aber sie verliebte sich Knall auf Fall. Das Ergebnis war – in gewissem Sinne – grandios.
    Mein Vater, Chenani ag Amaya, gehörte der herrschenden Konföderation der Kel Rela an, dem mächtigsten Adelsstamm unter den Ibaggaren-Tuareg. Seine Mutter Zara war die jüngste Schwester des letzten »Amenokals« Sidi Bey ag Akhamuk. Im Volksmund wurde der Herrscher der Tuareg als »König« bezeichnet, und in gewisser Weise mochte das stimmen. Olivia sagte, wenn sie Sidi Bey anblickte, hatte sie den Eindruck, eine Statue vor sich zu sehen.
    Seine ebenmäßig braunen Hände und Füße waren wie aus Stein gemeißelt. »Er schaute auf mich herab«, hatte Olivia einmal gesagt,
    »er kam mir wie ein Mann von vielfacher Lebensgröße vor.«
    Fantines rote Lippen kräuselten sich.
    »Da übertreibt sie ganz schön.«
    »Sie war ungeheuer beeindruckt.«
    Der Titel des Amenokals bedeutet »Herr des Erdbodens«. Das Privileg des Herrschers wurde auf komplizierte Art weitergegeben, nicht vom Vater auf den Sohn, sondern über die Frauen. Offenbar hatte sich das Patriarchat bei den Tuareg nicht durchgesetzt, ganz 19
    gleich, welche Eigenarten sie sonst haben mochten. Olivia empfand Genugtuung. Und zudem waren diese so karg lebenden Menschen von einer Gelassenheit, die an Stoizismus grenzte und Olivia im täglichen Umgang mit ihnen ein Gefühl der Freiheit gab. Während Chenani als schlecht bezahlter Radiotechniker arbeitete, übernahm sie eine Schulklasse in Tarn. Die meisten Kinder waren Araber, viele mit afrikanischem Blut, einige Tuaregkinder waren auch dabei. Trotz mancher Schwierigkeiten fühlte Olivia sich selten entmutigt. Wie jeder Mensch hatte auch sie die Heimat ihrer Seele gesucht, und die Sahara war für sie jenes gelobte Land, das ihres Einsatzes, ihrer Träume würdig war. Sie war sorglos, wie man es nur mit zwanzig ist. Sie erfreute sich der besten Gesundheit, war begeisterungsfähig und voller Energie. Sie hielt sich gern unter Menschen auf, hatte eine besondere Begabung, auf die Leute einzugehen, so daß jeder sie mochte. Ihre Liebe zu Chenani, den sie zärtlich Gamin - Junge –
    nannte, entsprang einem tiefen, sehr natürlichen Gefühl. Hiram ag Amaya, Chenanis Vater, war Amrar - Anführer der Adelsstämme –
    und der zweitmächtigste Mann im Hoggar. Die Schwiegereltern nahmen die Fremde wohlwollend auf. Zu Liebschaften, Eheschließungen und Scheidungen haben die Nomaden ein bemerkenswert entspanntes Verhältnis. Die Ahnenreihe der einzelnen Familien stellte daher weniger einen
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