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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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war der nächste Film. Weiter dachten wir nicht. Mit gewissen Neigungen gingen wir vorsichtig um, und für eine Weile fiel es keinem von uns schwer, in einer Gruppe zu leben.
    Wir hatten von Algerien die Erlaubnis erhalten, die Felsbilder zu filmen, waren allerdings darauf hingewiesen worden, daß wir strikt auf die lokalen Ordnungshüter zu hören und uns an ihre Weisungen zu halten hatten. Daß sie hinter jedem offiziellen Ausweis falsche Papiere vermuteten, lag auf der Hand. Wir bewahrten Zuversicht.
    »Archäologische Funde sind einfach das Beste, was man filmen kann«, meinte Rocco mit schiefem Lächeln. »Da beleidigt man keinen Gott, hat wenig Kontakt zu den Einheimischen und pirscht sich nicht zu nahe an militärisches Gebiet heran.«
    »Falls sie nicht nebenan ihre Raketen testen.«
    Enrique saß dicht neben Thuy, suchte ständig ihre Nähe. Er hatte ein feingeschnittenes, braunes Gesicht; seine Kleider trug er jahrelang, sie waren altmodisch und zerknittert, nichts paßte zusammen. Dem lag pure Eitelkeit zugrunde, eine kultivierte jedoch. Sie entstammte der Tiefe einer durchaus wahrhaften und idealistischen Seele.
    Enrique kam aus Madrid und war ein echtes Kind der Movida; häufig lebte er in äußerst gefühlvollen Gedanken. Wir sprachen über die Schwierigkeiten, die uns in Algerien erwarten mochten; wir sprachen über den Sinn und Unsinn des Militärs, und Enrique, dessen Eltern gegen Franco waren, verfiel in Schwermut.
    »Wir müssen unsere Mitmenschen ansehen, sie aus größtmöglicher Nähe wahrnehmen. Menschen, die sich bekämpfen, schauen sich 24
    nicht an. Wenn wir das nicht fertigbringen, wird die Tür zur Gewalt aufgestoßen. Aber wir können ihr beikommen.«
    »Womit?« fragte ich milde.
    »Mit Brüderlichkeit.«
    »Ahnungslos wie ein Baby würde er sein Todesurteil unterschreiben«, seufzte liebevoll Thuy.
    »Brüderlichkeit?« Serge schüttelte den Kopf. »Damit kann dir alles mögliche Unangenehme zustoßen. Wenn sich Dorftrottel Gewehre umhängen, besteht die Gefahr, daß sie sich ihrer bedienen.«
    »Ich glaube nicht, daß es zu diesem Äußersten kommen wird«, sagte ich. »Rocco wird sich für uns einsetzen, und er kann sehr überzeugend sein.«
    Rocco versprach uns zu retten, bevor man uns das Gehirn aus dem Kopf schoß. Eine gute Portion Streß und Nervenkitzel, meinte er, konnte dem Film nicht schaden.
    Roccos Ruckzuckmethoden kamen oft gut an, aber manchmal ging er zu weit, und ich mußte ihn bremsen. Wir kamen auf das Thema Angst zu sprechen. Thuy erzählte von ihrer Kindheit. Sie war in Saigon geboren, hatte den Krieg miterlebt.
    »Ich war die jüngste von drei Geschwistern. Damals verstanden wir Kinder nichts von dem, was um uns herum geschah. Als die Kommunisten kamen, zahlten meine Eltern Schmiergeld, damit wir Saigon verlassen konnten. Wir waren schon auf hoher See, als ein Flugzeug das Schiff mit Napalmbomben angriff. Viele Menschen wurden verletzt oder getötet. Ich sah, wie ihre Kleider verglühten, wie ihre Haut zu Fetzen schmolz. Es war ein Wunder, daß wir am Leben blieben. Seitdem habe ich überhaupt keine Angst mehr.«
    Ich verstand, was sie meinte.
    »Ängste sind oft nur Wahnvorstellungen; sie machen uns weinerlich und hysterisch. Die richtigen, die wahren Ängste machen uns stark.«
    Thuy war schmal von Gestalt, mit einem etwas zu großen Kopf; auch ihre Hände und Füße waren klein. Sie sprach leise, mit eindringlicher Stimme. Ihre gelenkigen Knabenhände gingen entspannt mit den Gegenständen um, und alles, was sie anrührte, wurde mit stillem Leben erfüllt.
    Wir waren etwas beschwipst. Jeder hatte viel zu erzählen. Erst nach und nach fiel mir auf, daß ich zunehmend schweigsamer wurde, und es lag nicht nur am Wein. Etwas hatte begonnen, was nicht mehr aufzuhalten sein würde. Was ist es? fragte ich mich immer wieder und fand keine Antwort. Eine Weile noch hörte ich die anderen 25
    reden, roch Tabakqualm und fühlte eine leichte Übelkeit. Bald hörte ich nur noch Worte, die aus meinem Inneren kamen, Worte, die lange verschüttet gewesen waren; als sei etwas in mein Bewußtsein getreten, das tief in mir vergraben gewesen war. Und ich begann vor Sehnsucht und Zärtlichkeit zu zittern. Denn kaum jemals hatte ich mich an jene ersten Jahre meines Lebens erinnern können, in denen kleine Kinder beginnen, in den Farben, Lauten, Berührungen und Geräuschen um sich herum die Welt zu entdecken. Der Geruch von verbrennendem Holz, das Rascheln und Knistern von Zweigen,
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