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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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das Flackern einer Petroleumlampe, die Wärme einer Umarmung und eine sanfte, leicht kehlige Stimme, die leise Worte summte, immer wieder. Worte in einer Sprache, die mir unbekannt war, Worte, deren Sinn ich nicht verstand. Ich flüsterte sie vor mich hin:
    »Imochar ma ierha
    Amis beidjedjen
    Tarik tihagarret
    Takuba nit
    Ed esahar n ahal…«
    Dann Stille. In meinen Ohren war ein seltsames Summen. Plötzlich fühlte ich in meinem Trommelfell einen Knacks, das Summen platzte wie eine Luftblase. Geräusche und Stimmen kehrten zurück.
    Alle starrten mich an, und Enrique fragte besorgt:
    »Was hast du gesagt?«
    Ich kam wieder zu mir und lächelte ihn an.
    »Nichts. Ich habe an früher gedacht.«
    Ich wischte mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Auch mein T-Shirt klebte an der Haut.
    »Wir trinken noch etwas«, sagte Serge.
    Der Kellner brachte den Wein. Serge hielt sein Glas gegen das Licht.
    »Der Wein ist gut, sogar die Farbe ist schön, dieses tiefe Violett.«
    Ich trank den Wein schnell. Erst jetzt wurde ich ruhig, erst jetzt verblaßten die Bilder. Der Wein war stark; auch das Wasser, zwischendurch getrunken, milderte seine Wirkung nicht. Ich hatte auf einmal Kopfschmerzen, war müde und wünschte mir, allein zu sein. Oft werden unsere Entscheidungen von ganz merkwürdigen Ideenverbindungen beeinflußt, die langes Nachdenken überflüssig machen. Ich kramte in meiner Handtasche, schlug mein Notizbuch auf und kritzelte eine Telefonnummer hinein. Als wieder eine Pause 26
    im Gespräch eintrat, riß ich die Seite heraus und reichte sie Enrique mit den Worten: »Ich fahre am Wochenende nach Brüssel, zu meiner Mutter. Das ist ihre Telefonnummer, falls noch irgendwelche Fragen auftauchen.«
    »Seit wann hast du sie nicht gesehen?« fragte Enrique.
    »Ich weiß es nicht mehr. Seit zwei Jahren oder so.«
    »Dann wird es allmählich Zeit, daß du sie besuchst.«
    Ich nickte.
    »Das denke ich auch. Und vielleicht kann sie mir mehr über die Felszeichnungen sagen. Sie hat ja lange genug in Algerien gelebt.«
    27

4. Kapitel
    »W ann kommst du?« fragte Olivia, als sie den Hörer abnahm und meine Stimme hörte.
    Ich empfand nur geringe Verwirrung. Olivia blieb in vielerlei Hinsicht für mich ein Rätsel. Ich hatte mich längst damit abgefunden. Dinge im voraus zu ahnen war ein Teil ihrer Fähigkeiten. Es war durchaus denkbar, daß der Schlüssel zu ihrer hohen Intuition in ihrer Einbildungskraft lag. Ihre Vermutungen erwiesen sich meist als richtig, so daß sie stets mehr zu wissen schien als andere – eine Tatsache, die ich früher als selbstverständlich hingenommen hatte. Das Staunen darüber kam erst später, als ich gelernt hatte, sachlich und vernünftig zu denken.
    »Ich wollte eigentlich morgen kommen. Es sei denn, du hast etwas anderes vor.«
    »Ich habe selten etwas vor.« Olivias Stimme klang heiter. »Wie fährst du? Mit dem Zug?«
    »Ich komme um siebzehn Uhr zwölf an.«
    »Ich kann dich nicht abholen, da habe ich einen Schüler.«
    »Das macht nichts, ich nehme ein Taxi.«
    »Hast du Gepäck?«
    »Nur eine Tasche.«
    »Dann fahr mit der U-Bahn. Taxis sind teuer. Und es ist Stoßverkehr.«
    »Gut.«
    Olivia war eine ausgezeichnete Lehrerin gewesen, und ich hatte immer gedacht, daß das Unterrichten ihr fehlen würde. Aber bei meiner Mutter wußte man solche Dinge nie genau. Als Kind war sie hochbegabt gewesen und hatte die Musikhochschule besuchen wollen.
    In der Familie der Großeltern wurde viel musiziert. Beide hatten ihr Vermögen im Krieg verloren und trauerten besseren Zeiten hinterher; der Vater starb zuerst, hinterließ Schulden und eine geringe Lebensversicherung. Für die Musikhochschule war kein Geld da. Olivia strebte einen soliden Beruf an, besuchte eine höhere Schule, machte ein gutes Examen. Es waren finanziell harte Jahre, aber Olivia wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihre Violine, eine Guadagnini, zu verkaufen. Sie unterrichtete Französisch und Musik in einer Mädchenschule, die einen guten Ruf hatte. Dann starb 28
    auch die Mutter. Olivias Gehalt war gering, aber sie konnte davon leben. Sie spielte Geige in einem Kammerorchester, trat bei Schulaufführungen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen als Solistin auf. Nichts Großartiges, aber Olivia hatte sich damit abgefunden.
    Ihre leicht gereizte Stimme klang mir noch lange in den Ohren.
    »Hör auf zu fragen, warum ich nicht berühmt geworden bin! Ich habe entscheidende Jahre verloren. Die Musik verlangt Treue, und
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