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Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Titel: Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
Autoren: Ross Thomas
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daß nichts Perfektes so einfach war. Das rotbraune Haar rahmte ein mehr oder weniger ovales Gesicht ein, dessen Züge genau so angeordnet waren, wie sie sein sollten – mit Ausnahme der Stirn, die ein wenig zu hoch war. Ihre Augen waren grün; allerdings konnte Stallings sich nicht entscheiden, ob sie meergrün oder smaragdgrün waren. Aber da sie teuer aussah, entschied er sich schließlich für dollargrün.
    Wenige Sekunden, nachdem sie sich am linken Ohrläppchen gezupft hatte, folgte Harry Crites’ Auftritt; er trug eine Neun-Dollar-Zigarre und einen Tausend-Dollar-Kamelhaarmantel. Den Mantel hatte er wie ein Cape übergeworfen, ganz so wie ein reicher Dichter ihn getragen hätte, falls es so etwas gab, was Stallings bezweifelte.
    Die Frau nickte Crites zu. Es war ein wertfreies Kopfnicken, das entweder »viel Spaß« oder »alles klar« bedeuten konnte. Crites blieb stehen. Ohne eine Spur von Unterwürfigkeit nahm die Frau ihm den Mantel von den Schultern. Stallings fragte sich, wie viel ihre Dienste kosteten und was sie alles umfaßten. Den Kamelhaarmantel über dem linken Arm, machte die Frau kehrt und verließ das Hotel durch den Eingang zur 15th Street.
    Als Harry Crites seinen Dinnergast erblickte, kniff er die blauen Augen zusammen und zwinkerte über dem, was Stallings für Kontaktlinsen hielt. Der breite, joviale Mund, um einige Schattierungen blasser als ein Einweckgummi, verzog sich zu einem verzückten Lächeln, das bemerkenswert weiße Zähne entblößte, von denen Stallings wußte, daß sie überkront waren. Nachdem er sich erinnert hatte, daß Crites siebenundzwanzig gewesen war, als er sich 1961 jene noch immer unbeglichenen fünfunddreißig Dollar geborgt hatte, setzte Stallings sein gegenwärtiges Alter mit zweiundfünfzig an.
    Booth Stallings erhob sich langsam und streckte ihm die rechte Hand entgegen. Crites ergriff sie mit seinen beiden und pumpte sie auf und nieder, während er um die gewaltige Zigarre herum und dahinter sprach: »Verdammt, Booth, es ist so verdammt viele Jahre her.«
    »Vierzehn«, sagte Stallings, der über diese Art Gedächtnis verfügte. »Siebzehnter Juni 1972.«
    Crites nahm die Zigarre aus dem Mund, blätterte in seinem geistigen Kalender zurück und ließ seine Augen in gespielter Panik nach links und rechts zucken. »Der Watergate-Einbruch. Jesses, ich habe dich dabei gar nicht gesehen.«
    Stallings konnte das Grinsen nicht unterdrücken. »Am einundzwanzigsten Geburtstag meiner Tochter Joanna. Das ist die, mit der du heute gesprochen hast – die, die mit Staatssekretär Ahnungslos verheiratet ist.«
    »Neal Hineline«, sagte Crites und nickte gewichtig. »Ein großartiger Kopf aus dem vierzehnten Jahrhundert. Tadellos.« Dann runzelte er die Stirn. »Aber ich kann mich nicht an Joannas Geburtstag erinnern.«
    »Das liegt daran, daß du nicht dabei warst. Du bist in diesen bombastischen Laden gegangen, der dichtgemacht hat und fast zu einem McDonald’s gemacht worden wäre. Das – äh –«
    »Sans Souci.«
    »Richtig. Und ich war gerade mit Joanna unterwegs zu einem Geburtstagsessen im Mayflower, und du hast glatt durch mich durchgesehen.«
    Crites tippte sich mit dem Finger ans rechte Auge. »Das war, bevor ich das Wundermittel für Eitelkeit gefunden hatte. Kontaktlinsen. Wenn du jetzt mit dem Verarschen fertig bist, laß uns essen.«
    »Wird uns deine Freundin Gesellschaft leisten?«
    Crites blickte über die Schulter in die Richtung, in der die große Frau verschwunden war, und sah dann Stallings mit einem leichten Lächeln an. »Sie ist nicht unbedingt eine Freundin.«
    »Dann laß uns essen«, sagte Booth Stallings.
    Man überließ Harry Crites die begehrte Sitzecke auf der Nordostseite des fast leeren Montpelier-Saals. Er und Stallings nahmen erst einen Drink, Perrier und Magenbitter für Crites, Wodka auf Eis für Stallings. Beide bestellten einen Salat, Kalbfleisch und eine doppelte Portion der »ersten grünen Bohnen der Saison‹, die, wie der Kellner beteuerte, erst diesen Morgen in Loudoun County, Virginia, gepflückt worden seien, wenn Stallings auch annahm, daß dies am Vortag und nahe Oxnard, Kalifornien, geschehen war. Anschließend bestellte Harry Crites den Wein, was eine fünfminütige ernste Beratung mit dem Sommelier erforderte.
    Sobald der Wein bestellt war, lehnte sich Harry Crites zurück, nippte an seinem Drink und musterte Stallings, als sei er noch immer etwas, das trotz zweifelhafter Herkunft ein günstiger Kauf sein
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