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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen?
Autoren: Alice Munro
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zurechtgestutzt und ausgeschmückt haben, mit haarsträubenden Lügen von der Sorte, auf die man sich bei einem Schriftsteller verlassen kann.
    Walter Scott war ebenfalls ein Außenstehender, ein Edinburgher Rechtsanwalt, der nachmals einen hohen Posten in der Grafschaft bekleidete, in der seine Familie von alters her zu Hause war. Auch er verstand, wie es Außenstehende manchmal besser tun, die Bedeutung dessen, das im Begriff stand zu verschwinden. Als er Sheriff – also Bezirksrichter – von Selkirkshire wurde, begann er, sich auf dem Lande umzutun und alte Lieder und Balladen zu sammeln, die nie aufgezeichnet worden waren. Dann ließ er sie in
The Minstrelsy of the Scottish Border
abdrucken. Margaret Laidlaw Hogg war in ihrer Gegend berühmt für die Vielzahl der Gedichte, die sie im Kopf trug. Und Hogg – mit der Nachwelt im Blick, doch auch auf unmittelbaren Vorteil bedacht – sorgte dafür, dass Scott seine Mutter aufsuchte.
    Sie sagte ihm etliche Gedichte auswendig her, darunter auch die neue »Ballade von Johnny Armstrong«, ihr und ihrem Bruder unlängst erzählt »vom alten Andrew Moore, der sie von Bebe Mettlin [Maitland] hat, der Haushälterin vom Obersten Gutsherrn von Tushielaw«.
    (Zufällig war eben dieser Andrew Moore auch der Diener von Boston, der berichtet hatte, wie Boston »den bösen Geist bannte«, der in einem von Hoggs Gedichten umgeht. Was ein neues Licht auf den Pfarrer wirft.)
    Margaret Hogg regte sich furchtbar auf, als ihr 1802 das Buch von Scott mit ihren Beiträgen darin vorgelegt wurde.
    »Sie wurden zum Singen gemacht und nicht zum Drucken«, soll sie gesagt haben. »Und nun werden sie nimmermehr gesungen werden.«
    Des Weiteren beschwerte sie sich, sie seien »weder richtig aufgezeichnet noch richtig geschrieben«, obwohl dieses Urteil merkwürdig anmutet aus dem Munde einer, die immer – von ihr selbst oder auch von Hogg – als einfache alte Bauersfrau mit nur geringer Schulbildung geschildert wurde.
    Wahrscheinlich war sie zwar einfach, aber auch schlau. Sie hatte gewusst, was sie tat, aber sie konnte nicht umhin zu bedauern, was sie getan hatte.
    Und nun werden sie nimmermehr gesungen werden.
    Sie mag es auch genossen haben, zu zeigen, dass es mehr brauchte als ein gedrucktes Buch und den Sheriff von Selkirk, um ihr zu imponieren. So sind die Schotten, glaube ich. Meine Familie jedenfalls war so.
     
    Fünfzig Jahre nachdem Will O’Phaup am Allerseelenabend seine Kinder an sich drückte und um Schutz betete, trifft sich Hogg mit einigen seiner Vettern im selben hoch gelegenen Haus in Phaup. Inzwischen wird das Haus als Nachtquartier von jedem unverheirateten Schäfer benutzt, der die auf den Bergen weidenden Schafe hüten muss, und die anderen sind an jenem Abend nicht anwesend, um sich zu betrinken und Geschichten zu erzählen, sondern um Essays zu lesen! Diese Essays beschreibt Hogg als flammend und leidenschaftlich, und aus diesen sowie aus späteren seiner Worte gewinnt man den Eindruck, dass diese jungen Männer tief im Ettrick Valley vom Zeitalter der Aufklärung gehört hatten, obwohl sie es wahrscheinlich nicht so nannten, auch von den Ideen eines Voltaire und Locke und David Hume, ihres schottischen Landsmanns, der ebenfalls ein Tiefländer war. Hume war in Ninewells aufgewachsen, ungefähr fünfzig Meilen von Chirnside entfernt, und nach Ninewells zog er sich auch zurück, als er mit achtzehn einen Zusammenbruch erlitt – vielleicht vorübergehend von den Ausmaßen der Untersuchungen, die er vor sich sah, überwältigt. Er war noch am Leben, als diese Jungen geboren wurden.
    Ich kann mich natürlich irren. Was Hogg Essays nennt, können auch Erzählungen gewesen sein. Geschichten von den Presbyterbündlern, die von rot berockten Dragonern bei ihren Gottesdiensten unter freiem Himmel aufgespürt wurden, von Hexen und wandelnden Untoten. Das waren junge Burschen, die sich in allen möglichen Genres versuchten, ob Prosa oder Poesie. Die Schulen von John Knox hatten ihr Werk getan, und in allen Gesellschaftsschichten brach eine literarische Epidemie aus, ein poetisches Fieber. Als Hogg am Tiefpunkt angelangt war, als Schäfer im einsamen Bergland von Nithsdale arbeitete und in einer dürftigen Schutzhütte, einer Baude, hauste, da machten sich die Cunningham-Brüder – der Steinmetzlehrling und Dichter Allan Cunningham und sein Bruder James – auf einen beschwerlichen Fußmarsch, um ihm ihre Bewunderung auszusprechen. (Hogg bekam zuerst einen Schreck,
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