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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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bekommen. Wenn ich etwas nicht mit eigenen Augen sehe, bin ich nicht überzeugt. Ich bin eher praktisch als intellektuell veranlagt. Sicher verfüge ich über eine gewisse Intelligenz, nehme ich zumindest an; sonst könnte ich wohl keine Romane schreiben. Aber ich bin kein Typ, der logisch oder abstrakt vorgeht oder der seine Energie aus intellektuellen Spekulationen schöpft. Erst wenn ich wirklich körperlichen Belastungen ausgesetzt bin und meine Muskeln ächzen (und sogar jaulen), steigt mein Verständnispegel jäh an, und ich begreife endlich etwas. Unnötig zu betonen, dass es da ziemlich viel Zeit und Mühe kosten kann, Schritt für Schritt zu einem Schluss zu kommen. Mitunter zieht sich der Vorgang allzu lange hin, und bis ich endlich überzeugt bin, ist es schon zu spät. Nichts zu machen. So bin ich eben.
    Ich sollte an einen Fluss denken. An die Wolken. Doch im Grunde denke ich an gar nichts. Ich laufe einfach weiter in meiner wohligen, hausgemachten Leere, meinem wehmütigen Schweigen. Und das ist ziemlich wundervoll – mögen andere sagen, was sie wollen.

2
    SONNTAG, 14. AUGUST 2005
KAUAI, HAWAII
    WIE MAN EIN LAUFENDER ROMANCIER WIRD
    Heute Morgen bin ich eine Stunde und fünfzehn Minuten gelaufen, dabei habe ich auf meinem MD -Spieler Carla Thomas und Otis Redding gehört. Am Nachmittag bin ich 1300 Meter im Pool geschwommen, abends im Meer. Danach aß ich im Restaurant Dolphin, das ein bisschen außerhalb von Hanalei liegt, zu Abend. Dort gibt es Walu, einen weißen Fisch, den sie auf Holzkohle für mich grillen und den ich mit Sojasoße esse. Als Beilage gab es Gemüse-Kebab und einen großen Salat. Dazu trank ich ein Bier.
    Bis jetzt bin ich im August etwa 150 Kilometer gelaufen.
    Angefangen, täglich zu laufen, habe ich vor langer Zeit. Genau gesagt im Herbst 1982. Ich war damals dreiunddreißig.
    Kurz vorher hatte ich noch einen Jazzclub in der Nähe des Bahnhofs Setagaya. Gleich nach dem Studium (eigentlich war ich sogar offiziell noch Student, mir fehlten wegen meiner vielen Nebenjobs noch ein paar Scheine) hatte ich den kleinen Club am Südeingang der Station Kokubunji eröffnet und führte ihn drei Jahre. Als das Gebäude, in dem er sich befand, umgebaut wurde, zogen wir in eine zentralere Lage. Die neuen Räume waren weder sehr groß noch besonders klein. Wir hatten einen Flügel und gerade genügend Platz, um ein Quintett unterzubringen. Tagsüber schenkten wir Kaffee aus, abends waren wir eine Bar. Wir servierten auch recht gutes Essen, und an den Wochenenden hatten wir ein Live-Programm. Damals waren Jazzclubs noch verhältnismäßig selten, wir hatten Stammgäste, und das Lokal ging recht gut.
    Die meisten meiner Bekannten hatten einen Flop vorausgesagt. Sie meinten, eine Bar, die als Hobby geführt wird, könne nichts abwerfen. Jemand wie ich, der ziemlich unerfahren war und nicht die geringste Ahnung von Geschäftsführung hatte, würde das doch nie auf die Reihe kriegen. Doch sie lagen mit ihren Voraussagen völlig daneben. Ehrlich gesagt, hielt ich mich selbst nicht für sonderlich geschäftstüchtig, aber ich sagte mir, eine Pleite käme einfach nicht in Frage, also musste ich mein Bestes geben. Einer meiner wenigen Vorzüge – wenn nicht der einzige – ist mein Fleiß. Ich bin sehr arbeitsam und kann körperlich eine Menge leisten. Ich bin eher ein Arbeits- als ein Rennpferd. Da ich in einem Angestelltenhaushalt aufgewachsen bin, hatte ich von geschäftlichen Dingen nicht viel Ahnung, aber glücklicherweise stammt meine Frau aus einer Geschäftsfamilie, und ihre natürlichen Instinkte waren eine große Hilfe. Auch als noch so zähes Arbeitstier hätte ich es alleine nie geschafft.
    Die Arbeit war schwer. Ich schuftete von morgens bis abends, fast bis zum Umfallen. Dabei machte ich alle möglichen schmerzlichen Erfahrungen. Es gab Dinge, über die ich mir endlos den Kopf zerbrach, und jede Menge Enttäuschungen. Doch da ich wie wahnsinnig arbeitete, machte ich schließlich genügend Profit, um Hilfskräfte einzustellen. Mit Ende zwanzig konnte ich endlich eine Verschnaufpause einlegen. Ich hatte mir von jedem, der dazu bereit war, so viel Geld wie möglich geliehen. Nun hatte ich fast alles zurückgezahlt und sonnte mich in dem Gefühl, dass allmählich alles in geordneten Bahnen verlief. Bis dahin war es so sehr ums reine Überleben gegangen, dass ich kaum Zeit gefunden hatte, an irgendetwas anderes zu denken. Mir war, als hätte ich die oberste Stufe einer steilen Treppe
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