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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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Radfahrern benutzt, und man muss ständig vor von hinten heranflitzenden Rasern auf der Hut sein. Auch ist der Weg an verschiedenen Stellen rissig, und man muss aufpassen, dass man nicht stolpert. Dann gibt es noch ein paar Ampeln, die einen störend lange aufhalten, aber ansonsten ist es ein sehr angenehmer Weg.
    Wenn ich laufe, höre ich meistens Rockmusik, hin und wieder auch Jazz. Aber Rock passt am besten zum Laufrhythmus. Mir gefallen die Red Hot Chili Peppers, die Gorillaz, Beck und Oldies von Creedence Clearwater Revival oder den Beach Boys. Je einfacher der Rhythmus, desto besser. Heutzutage benutzen viele Läufer iPods, aber ich ziehe meinen gewohnten MD -Spieler vor. Er ist etwas größer als ein iPod, und seine Speicherkapazität ist geringer, aber mir genügt das. Beim Laufen möchte ich Computer und Musik nicht verbinden. Ebenso wie ich nicht gern Freundschaft, Sex und Arbeit vermische.
    Im Juli bin ich also 310 Kilometer gelaufen. An zwei Tagen hat es geregnet und an zweien war ich unterwegs und konnte nicht laufen. Außerdem war es an einigen Tagen auch zu schwül. In Anbetracht dessen sind 310 nicht übel. Gar nicht übel. Wenn 260 Kilometer im Monat als ernsthaftes Training gelten, sind 310 Kilometer auf jeden Fall hart. Je länger die Strecken wurden, desto mehr verlor ich an Körpergewicht. In den zweieinhalb Monaten nahm ich etwa drei Kilo ab, und der Bauchansatz, den ich bekommen hatte, verschwand. Stellen Sie sich vor, Sie gingen zum Metzger, würden drei Kilo Fleisch kaufen und es nach Hause tragen. So bekommen Sie einen Eindruck von dem Gewicht. Ich fand es selbst schon bedenklich, so viel zusätzliches Gewicht mit mir herumzuschleppen. Samuel Adams Summer Ale und Dunkin’ Donuts sind wichtige Bestandteile des Bostoner Lebens, aber auch diese Genüsse kann man sich gönnen, wenn man täglich trainiert.
    Vielleicht wirkt es ein bisschen albern, wenn ein Mann in meinem Alter so etwas immer wieder schreibt, aber um es ganz klarzustellen: Ich bin ein Mensch, der besonders gern für sich ist. Oder noch präziser ausgedrückt: Es bereitet mir keinerlei Unbehagen , allein zu sein. Ich finde es weder schwierig noch langweilig, am Tag ein oder zwei Stunden allein zu laufen und dann vier oder fünf Stunden allein am Schreibtisch zu sitzen. Schon in meiner Jugend hatte ich diese Neigung. Vor die Wahl gestellt, habe ich es immer vorgezogen, ein Buch zu lesen oder allein Musik zu hören, statt mit anderen zusammen zu sein. Mir fiel immer etwas ein, was ich allein tun konnte.
    Dennoch habe ich jung geheiratet (mit zweiundzwanzig) und mich allmählich an das Zusammenzuleben mit einem anderen Menschen gewöhnt. Nach dem Studium führte ich ein Lokal und lernte, wie wichtig es ist, mit anderen auszukommen, und dass wir – versteht sich – allein nicht überleben können. So erfuhr ich, wenn auch auf meine etwas unorthodoxe Weise, was es heißt, ein soziales Wesen zu sein. Rückblickend ist mir klar, dass sich in meinen Zwanzigern meine Weltsicht änderte und ich menschlich reifer wurde. Indem ich vieles ausprobierte, erwarb ich die praktischen Fähigkeiten, die ein Mensch zum Überleben braucht. Ohne diese zehnjährige Lebenserfahrung hätte ich womöglich nie einen Roman geschrieben, oder es wäre, selbst wenn ich es versucht hätte, nichts daraus geworden. Dennoch verändert sich der Charakter eines Menschen nie ganz drastisch. Der Wunsch, allein zu sein, ist mir unverändert eigen. Deshalb ist auch die eine Stunde am Tag, die ich schweigend und für mich verbringe, von so großer Bedeutung für mein psychisches Wohlergehen. Beim Laufen muss ich mit niemandem reden und niemandem zuhören. Ich brauche nur auf die vorüberziehende Landschaft zu schauen. Um nichts in der Welt würde ich diese kostbaren Momente eintauschen.
    Häufig werde ich gefragt, woran ich beim Laufen denke. Meist haben die Menschen, die diese Frage stellen, selbst keine Erfahrung im Langstreckenlauf. Jedes Mal denke ich angestrengt darüber nach. Was denke ich denn eigentlich so, wenn ich laufe? Ehrlich gesagt, kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern.
    An kalten Tagen denke ich ein bisschen an die Kälte und an heißen Tagen an die Hitze. Wenn ich traurig bin, denke ich an die Traurigkeit, und wenn ich froh bin, an die Freude. Oder es kommen mir – ich schrieb es schon – irgendwelche belanglosen Erinnerungen an früher. Hin und wieder (ganz selten) taucht eine Idee für einen Roman in meinem Kopf auf. Doch abgesehen davon
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