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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autoren: Haruki Murakami
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erreicht und könne jetzt ins Freie blicken. Da ich sicher dort angekommen war, würde ich jede vielleicht noch auftretende Schwierigkeit meistern und überleben, darauf vertraute ich. Ich holte tief Luft, schaute mich bedächtig um, warf einen Blick zurück auf den Weg, den ich gekommen war, und begann über meinen nächsten Schritt nachzudenken. Mein dreißigster Geburtstag war nicht mehr fern. Ich kam in das Alter, in dem man nicht mehr als jung gilt. Und auf einmal hatte ich – auch für mich ganz unerwartet – die Idee, einen Roman zu schreiben.
    Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, in dem sie in mir aufstieg. Es war am 1. April 1978 gegen halb zwei Uhr nachmittags. Ich schaute mir gerade im Jingu-Stadion ein Baseballspiel an und trank ein Bier. Das Stadion war von meiner damaligen Wohnung zu Fuß zu erreichen, und ich war Fan der Yakult Swallows. Es war ein vollkommener Frühlingstag, kein Wölkchen stand am Himmel, es wehte eine milde Brise. Damals gab es keine richtige Zuschauertribüne mit Sitzplätzen, eigentlich nur einen grasbewachsenen Hang am Spielfeldrand. Ich lag im Gras, nippte an meinem kühlen Bier, blickte hin und wieder in den Himmel und genoss entspannt das Spiel. Im Stadion war es nicht sehr voll, wie bei den meisten Spielen der Swallows. Es war das Saisoneröffnungsspiel gegen die Hiroshima Carps. Ich kann mich noch gut an Yasuda, den Werfer der Swallows, erinnern. Er war klein und stämmig und warf ausgefuchste, gefährliche Bälle. Im ersten Inning verhinderte er mit Leichtigkeit jeden Punkt für die Hiroshima Carps. Dave Hilton (ein neuer junger Spieler aus Amerika) war im zweiten Inning Schlagmann der Swallows. Er schlug den Ball ins linke Außenfeld. Der Ton, mit dem der Ball genau an der richtigen Stelle des Schlägers aufprallte, hallte durchs Stadion. Hilton erreichte bequem die First und Second Base. Just in diesem Augenblick dachte ich: »Ich werde einen Roman schreiben.« Ich weiß noch genau, wie klar und weit der Himmel war, wie frisch und grün das junge Gras, wie entschlossen der Ton des Schlages. Etwas schwebte vom Himmel zu mir herab, und ich nahm es an.
    Ich hatte nicht den Ehrgeiz, Schriftsteller zu werden, nur das starke Verlangen, einen Roman zu schreiben. Ich hatte nicht einmal eine konkrete Vorstellung von dem, was ich schreiben wollte, ich war mir nur sicher, dass ich etwas Überzeugendes zustande bringen würde, wenn ich es jetzt in Angriff nahm. Als ich mir vorstellte, wie ich mich zu Hause an den Schreibtisch setzen und zu schreiben beginnen würde, fiel mir ein, dass ich nicht einmal einen anständigen Füller besaß. Also ging ich in die Schreibwarenabteilung von Kinokuniya in Shinjuku und kaufte mir einen Stoß Manuskriptpapier und einen Sailor-Füller zu 1000 Yen. Eine kleine Investition.
    Das war im Frühling. Bis zum Herbst hatte ich ein zweihundertseitiges Werk verfasst (handgeschrieben auf japanischem 400-Zeichen-Manuskriptpapier). Ich fühlte mich erleichtert und erfrischt. Da ich nicht so recht wusste, was ich mit dem fertigen Produkt anfangen sollte, aber noch in Schwung war, nahm ich an einem Wettbewerb teil, den eine Literaturzeitschrift für angehende Schriftsteller ausgeschrieben hatte. Ich schickte das Manuskript ab, ohne eine Kopie davon zu machen. Anscheinend befürchtete ich überhaupt nicht, dass es vielleicht nicht ausgewählt werden und für immer verschwinden könnte. Es ist unter dem Titel Hear The Wind Sing ( Kaze no oto wo kike ) erschienen. Wichtiger als sein Erscheinen oder Nicht-Erscheinen scheint für mich gewesen zu sein, dass ich ihn abgeschlossen hatte.
    In diesem Herbst gewannen die Yakult Swallows, die als notorische Verlierer bekannt waren, die Regionalmeisterschaften, stiegen in die Japan Series auf und besiegten die Hankyu Braves. Ich war sehr aufgeregt und ging immer wieder ins Korakuen-Stadion, um mir die Spiele anzusehen. (Da niemand geglaubt hatte, dass die Yakult Swallows so weit kommen und gewinnen würden, fanden in ihrem Heimstadion, dem Jingu, schon College-Baseballspiele statt.) Ich erinnere mich also noch sehr genau an jenen Herbst. Er war besonders prächtig, und meist schien die Sonne. Der Himmel war von einem vollkommenen Blau, und die Ginkgobäume vor dem Kino leuchteten so golden wie nie zuvor. Es war der letzte Herbst, in dem ich noch nicht dreißig war.
    Als mich zu Beginn des nächsten Frühjahrs die Redaktion der Literaturzeitschrift Gunzo anrief, um mir mitzuteilen, mein Roman sei in die engere
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