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Worum Es Geht

Worum Es Geht

Titel: Worum Es Geht
Autoren: Jutta Ditfurth
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und Überwachung, soziale Hierarchien, entgrenzte Arbeitszeiten und maßlose Leistungsanforderungen führten beim französischen Autokonzern Renault 2007 zu einer Selbstmordserie von Mitarbeitern und zwischen 2008 und 2010 bei France Télécom zur Selbsttötung von 46 Menschen. Überraschend viele Selbstmörder waren »Kopfarbeiter«, fachlich besonders qualifiziert oder sogar in leitenden Positionen tätig.
    In deutschen Konzernen kommt es vor, dass sich Leiharbeiterinnen prostituieren, weil sie auf eine Festanstellung hoffen. Oft regiert der Alkohol, die Zerstörung nach innen, seelische Verkrüppelung und Gewalt gegen Nahestehende.
    In der Demokratischen Republik Kongo kriechen Kinder, giftige Gase einatmend, in ungesicherte Stollen, um
Metalle der seltenen Erden
herauszukratzen. Auch dank ihrer lungenkranken ausgemergelten Körper ist unsere digitale Kommunikation garantiert. 2 Denn die ist offensichtlich wirklich grenzenlos frei – von Empathie und Solidarität.
    Krieg, Ausbeutung, Naturzerstörung, Fremdbestimmung und Demütigung haben die Welt im Griff. Vielerorts »entfaltet« sich statt der individuellen Persönlichkeit eines Menschen nur das perspektivlose Elend. Und vielleicht die Magenhaut, wenn endlich einmal Nahrung die Speiseröhre hinunterrutscht, und sei es nur gebackener Brei aus Erde.
    In den satten bürgerlichen Milieus von kapitalistischen Zentren wie Deutschland bedeutet das Entfalten individueller Fähigkeiten nur allzu oft, Kinder zu brechen und sie für das kapitalistische Rattenrennen zu stählen. Ihr Selbstbewusstsein wird auf die falsche Art sozialer Anerkennung getrimmt. Ohne Leistung sind sie nichts wert. Für die Entsagung von wirklicher Freiheit und Glück werden sie mit Privilegien und Konsumgütern verwöhnt. Die Sensiblen leiden darunter, aber nur eine winzige Minderheit dieser elitären Kaste verlässt den goldenen Käfig – in den sie dann doch fast immer lebenslänglich zurückkann.
    Die Sehnsucht nach einem wirklich freien Leben unter Gleichen soll nicht blühen, das wäre eine gefährliche Sprengkraft. Oft ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, emanzipatorische Werte lächerlich zu machen. Die große konterrevolutionäre Welle war sehr erfolgreich. Es gibt kluge junge Frauen, die sich in grandioser Fehleinschätzung ihrer gesellschaftlichen Lage vor fast nichts mehr fürchten, als für eine Feministin gehalten zu werden. Es gibt Eltern, die glauben wollen, antiautoritäre Erziehung sei rücksichtslose Regellosigkeit. In vielen Schulen finden wir nur morsche Reste alter 68er-Ideale. Manch »linker« Lehrer fördert die rhetorische Selbstherrlichkeit von Mittelschichts- und Oberschichtskindernund nur ihre »freie« Entfaltung, anstatt die Kinder
der anderen
, der Arbeiter und Migrantinnen, der Hartz-IV-Empfänger, Kleinbürger und Subproletinnen mit den intellektuellen und sozialen Waffen für den Kampf um Erkenntnis und Befreiung auszurüsten.
    Vor unsere Zukunft ist ein blickdichter Vorhang aus Scheinfreiheiten gezogen. Die Propaganda hierfür funktioniert perfekt: Junge Leute, nach ihren individuellen Zukunftsvorstellungen befragt, haben oft nicht einmal dafür eine eigene Sprache und illustrieren ihre Träume mit Bildern aus Werbefilmen. Der Konsumzwang, der sich als individuelle Wahlfreiheit gebärdet, terrorisiert das Individuum, damit kein kritischer, rebellischer und subversiver Gedanke aufkommt.
    Soziale Gleichheit verlangt, dass jeder Mensch die gleichen materiellen Voraussetzungen hat, sich zu ernähren, bestmöglich medizinisch versorgt zu sein, gut zu wohnen, sich zu bilden, am kulturellen Leben teilzunehmen und sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ungehemmt auseinanderzusetzen. Wie sollte er sonst frei sein? Der Mensch ist ein
soziales Wesen
, welches andere Menschen lebensnotwendig braucht. Ein Mensch wird in der Auseinandersetzung mit seiner sozialen Umwelt zum Individuum. Damit alle Menschen sich frei und gleich entfalten können, sich selbst verwirklichen können, müssen sie von Armut, Unterdrückung und Ausbeutung befreit werden.
    Ein solch radikaler Humanismus braucht die Verankerung im wirklichen Leben des Menschen. Es gibt für jeden von uns nur dieses eine Leben. Und es existiert schon, wenn wir neu dazukommen. Es besteht unter komplizierten Voraussetzungen, die wir verstehen lernen müssen, um nicht zu planlosen Mitläufern unserer Existenz zu werden. Wir werden vollkommen zufällig in irgendwelche Verhältnisse hineingeboren. Allein
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