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World's End

World's End

Titel: World's End
Autoren: T.C. Boyle
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unterhalten. »Muß jetzt weg, Walter«, sagte der Alte und wandte sich zum Gehen.
    »Warte!« keuchte Walter auf einmal verzweifelt. Da war noch einiges unerledigt, er mußte etwas fragen, mußte etwas wissen. »Dad!« In diesem Augenblick passierte es: kaum merklich erhellte sich die Atmosphäre, nur einen Sekundenbruchteil lang. Vielleicht lag es am Mond, der gerade aus den Wolken hervortaumelte, oder es war ein Sumpffeuer oder alle Einwohner der Bronx, die gleichzeitig aus ihren Betten herauswankten, um das Licht im Badezimmer anzuschalten – aber egal, was es war, es gestattete Walter einen kurzen, flüchtigen Blick auf das linke Bein seines Vaters, während der Alte in die Dunkelheit davonhinkte. Walter durchfuhr es eiskalt: das Hosenbein war leer.
    Ehe er reagieren konnte, schlossen sich die Schatten wieder wie eine Faust, und der kleine Kerl stand an seiner Seite, sah schielend zu ihm auf wie etwas Verderbtes, Unreines, wie der Kobold, der den Menschenfresser anstachelt. »Du willst doch nicht etwa in die Fußstapfen deines Vaters treten, oder?«
    Das nächste, was Walter wußte, war, daß er auf seiner Maschine saß (Maschine: es war sein Pferd, ein feuerspeiender, dreckaufwirbelnder Schrecken, eine große Norton Commando der oberen Hubraumklasse, die einem die Füllungen aus den Backenzähnen fliegen ließ), und die ausgewaschene, vogelgespickte Morgendämmerung zischte beiderseits an ihm vorbei wie das Bild auf einem tragbaren Schwarzweiß-Fernseher mit defektem Horizontalabgleich. Er war unbesiegbar, unsterblich, unempfindlich gegen die Kränkungen und Überraschungen des Universums und raste mit hundertfünfzig aus Peterskill hinaus. Die Straße bog nach rechts, und er bog mit ihr; jetzt kam eine Senke, dann eine Kuppe – er klebte an der Maschine wie eine frische Lackschicht. Hundertsechzig. Hundertfünfundsechzig. Hundertsiebzig. Er war auf dem Heimweg, die vergangene Nacht ein dunkler Fleck – war er auf der Rückfahrt vom Dunderberg hinten in Hectors Auto zusammengeklappt? –, er fuhr nach Hause ins Bett eines existentialistischen Helden über der Küche des schindelgedeckten Häuschens seiner Adoptiveltern. Auf der Straße glänzte der Tau. Es war noch nicht richtig hell.
    Und dann auf einmal, als wäre ein Schalter in seinem Kopf umgelegt worden, wurde er langsamer – was immer ihn auf hundertsiebzig hinaufgejagt hatte, war plötzlich von ihm gewichen. Er nahm das Gas weg, lockerte seinen Griff – hundertfünfundvierzig, hundertdreißig, hundertzehn –, er war schließlich auch bloß sterblich. Rechts vor ihm (er bemerkte sie kaum, war schon tausendmal daran vorbeigefahren, zehntausendmal) stand eine historische Gedenktafel, ein blau-gelbes Schild, ein Rechteck, das im Zwielicht aufblitzte. Woraus war es – Eisen? Erhabene Lettern, gelb – oder golden – auf blauem Hintergrund. Hatten wahrscheinlich irgendwelche armen Schweine unten in Sing-Sing oder so gemacht. Klar war das hier eine höchst historische Gegend, George Washington und der Verräter Benedict Arnold und all die anderen, aber Geschichte gab ihm im Grunde nicht allzuviel. Tatsache war, daß er die Inschrift auf dem Ding noch nie gelesen hatte.
    Noch nie gelesen. Von ihm aus hätte die Tafel auch an Lafayettes regelmäßigen Stuhlgang oder die Entdeckung der Gemüsezwiebel gemahnen können; ihm war das egal. Irgend etwas am Straßenrand, sonst nichts: Geschwindigkeitsbegrenzung, scharfe Kurve, Eichbaum, Reklametafel, historische Stätte, Garteneinfahrt. Auch jetzt hätte er ihr keinen zweiten Blick geschenkt, wäre da nicht der Schatten gewesen, der blitzartig vor ihm über die Straße schoß. Dieser Schatten (er war nicht genau zu erkennen – kein Kaninchen, Opossum, Waschbär oder Skunk – eben nur ein Schatten) brachte ihn dazu, den Lenker zu verreißen. Und durch dieses Reißen verlor er die Kontrolle über das Motorrad. Ja. Und dieser Kontrollverlust ließ ihn einen Moment lang nach rechts kippen, so daß der neue Dingo-Stiefel mit der Sporenriemenattrappe den Asphalt streifte, ließ ihn kippen und, bevor er sich wieder aufrichten konnte, direkt in das blau-gelbe Schild hineinrasen, mit einem Krach, der eines Donnergottes würdig gewesen wäre.
    Am nächsten Nachmittag, als er in einem blaßgrünen Zimmer vom Krächzen der Gegensprechanlage und dem beißenden Geruch im Ostflügel des Peterskill Hospital erwachte, spürte er keinen Schmerz. Es war komisch: eigentlich müßte es weh tun. Er betrachtete seinen bandagierten
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