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Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Titel: Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
Autoren: David Gray
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Dann half ich Niemburg sie zu narkotisieren und in einen OP Saal zu bringen. Er schnitt sie nacheinander auf: Bedächtig und streng nach den Regeln seines Anatomie-Lehrbuchs, das er neben dem Seziertisch aufgeschlagen hatte.
      Fasziniert wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal ganz allein mit seiner Eisenbahn spielen durfte, sah er dem schlagenden Herzen im, Brustkasten des Mannes zu.
    Er wusste, dass ich ein paar Monate an derselben Universität als Privatdozent gelehrt hatte, die ihm die Zulassung zum zweiten medizinischen Staatsexamen verweigert hätte, wenn nicht der Krieg gekommen wäre.
      Er war ganz offen: Seine Aufgaben im Lager überforderten ihn. Er brauchte jemanden, der etwas von dem Metier verstand. Er machte mir einen Vorschlag: solange es für ihn vertretbar blieb, würde er seine Hand über mich halten und ich dafür einen Großteil seiner Aufgaben übernehmen.
      In Auschwitz war Anstand nur ein Wort aus einer anderen Welt. Ich schlug ein. Ich wollte um jeden Preis überleben. Denn im Lager zu sterben, ganz gleich wann und woran, würde denen, die mich hierher gebracht hatten Recht geben. Es ging mir nicht mal ums Sterben an sich. Darauf war ich vorbereitet. Es ging mir darum draußen zu sterben. Hinter diesem verfluchten Zaun. Weil draußen gestorben zu sein ein Zeichen sein würde. Und zwar selbst dann noch, wenn keiner da wäre, der es wahrnahm, oder wahrnehmen wollte.
      Ich wurde dem Sonderkommando zugeteilt. Sonderkommando bedeutete Sonderrationen, Sonderbaracke und die berechtigte Hoffnung, den Gaskammern eine Weile entkommen zu sein.
      Ein paar Wochen meinte ich, ich hätte den Mut eines Tages einfach den Kopf in den Stacheldraht zu stecken. Aber das ging vorbei.
      Eigentlich spielte das Lagerorchester nur bei Ankünften und Abmärschen. Aber an einem Tag im März 1944 bekam ein Lagerarzt namens Mengele Lust auf Musik. Aus den Transporten dieses Tages hatte er sich fünfzig Zwerge ausgesucht. Die meisten von ihnen waren polnische Mongoloide, einige auch Artisten aus einem Zirkus. Warum es ausgerechnet Zwerge sein mussten, weiß ich nicht. 
      Das Orchester spielte zwei Stunden. Mengele thronte inmitten seiner Zwerge auf einem blau gepinselten Stuhl. Er hielt die Augen geschlossen, und rauchte Zigaretten in einer Spitze.
    Das letzte Lied, das die Musiker spielten, bevor Mengele seine Zwerge und Artisten ins Gas führte, hieß „Wenn ich ein Vöglein wär.“
      Ich sah es vom Fenster einer Baracke aus mit an.  Es war ein Blick auf den Grund der Dinge. Ein Blitzlicht, das den sonst dunklen Grund der Welt für ein paar Augenblicke grell erleuchtete.
      Ich habe Niemburg, Mengele und den anderen bei ihren Experimenten assistiert. Ich habe Protokolle und Listen geführt. Ich bin nicht unschuldig. Ich bin kein Märtyrer. Ich bin ein Überlebender.
      Zwei Mal forderten sie mich beim Zählappell auf, einen Schritt vor zu treten. Ein Schritt vor, bedeutete Gas. Beide Male holte Niemburg mich zurück.
    Im Dezember 44 gab es nichts mehr zu hoffen: der Krieg war für Deutschland verloren.
    Niemburg bestellte mich in seine Schreibstube: ein winziger Verschlag neben den OP– und Experimentiersälen.
    Ich machte Meldung. Er forderte mich auf bequem zu stehen, bot mir eine Zigarette an, dann einen Schnaps. Mir fuhr die Angst in die Knochen. 
      Er sei auf dem Sprung zurück nach Berlin, sagte er. Sein Marschbefehl war schon ausgestellt und gestempelt. In zwölf Stunden würde er das Lager verlassen. Er sagte die Russen stünden im Norden bereits an der Memel. Und im Süden bei Warschau an der Weichsel. Nur eine Frage der Zeit, bis sie den großen Durchbruch wagen würden.
    Niemburg würde bis dahin in Berlin sein. Aber ich wahrscheinlich längst tot. Es sei denn, ich folgte seinem Rat und ließ mich für einen Transport ins Reich einteilen. Das Rüstungsministerium zog von überall her Arbeitskräfte zusammen. Niemburg wusste nicht wozu. Doch er war sicher, dass der Transport nicht direkt von Auschwitz ins Reich ging. Sondern über Stutthof, ein anderes Lager in der Nähe von Danzig.
      Er nahm an, dass der Zug wegen der Fliegerangriffe sehr langsam fahren würde, und noch dazu wegen der höheren Priorität für Nachschubtransporte über irgendwelche Nebenstrecken geleitet würde. Spätestens am dritten Tag, meinte Niemburg, würde er sich bis auf knapp zweihundert Kilometer der russischen Nordfront genähert haben. Alles andere läge bei mir.
      Ich hatte keine Wahl: ich ließ mich
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