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Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Titel: Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
Autoren: David Gray
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aber dafür in bestimmten Kreisen mit einem ganz besonderen Ruf.     Bald verlangte der Chef des örtlichen Polizeireviers einen Anteil, damit er mich nicht an seine Vorgesetzen in der Präfektur verriet. Abtreibung wurde damals mit hohen Gefängnisstrafen bestraft. Immerhin verstand ich etwas von dem, was ich da tat. Keines der Mädchen ist je auf meinem Tisch verblutet.
      Als Arzt lernst Du früh die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Für Moral bleibt da nicht viel Platz. Und für Puritanismus schon erst recht nicht. Ich habe die Frauen die zu mir kamen nie für das, was sie taten, verachtet. Ganz im Gegenteil. Einige von ihnen hatten etwas Freies, Unbekümmertes an sich, das mich immer beeindruckt hat.
      Doch ich war nicht der einzige Engelmacher in der Gegend. Es gab einen weiteren. Sein Name war Ronsac. Von Haus war er glaube ich Uhrmacher. Aber im Grunde hätte er sich Metzger nennen sollen, so viele Mädchen sind ihm unter den Händen krepiert.  Ich nehme an, er hat mich schließlich verraten. Er war länger im Geschäft. Wahrscheinlich hatte er einfach die besseren Beziehungen.
      Als die Wehrmacht im Stechschritt ihre Siegesparade auf den Champs–Elysées abhielt, wartete ich in der Santé immer noch auf meinen Prozess.
      Eine absurde Farce: die französische Justiz, bestand darauf, ich hätte französischen Huren französische Föten ausgeschält. Der deutsche Sicherheitsdienst dagegen sah mich zuallererst als Jude und obendrein Emigranten – und bestand also darauf, dass ich in deutschen Gewahrsam gehörte. 
      Fast ein Jahr stritten sie, wer von ihnen das größere Anrecht auf meinen Kopf hatte.  
      Eines Tages im Winter 42, machten sie kurzen Prozess, holten mich aus meiner Zelle  und verluden mich in einen Viehwaggon nach Sachsenhausen. Das war ein KZ bei Berlin. Eines der ersten überhaupt.  Ich sah die Lichter der großen Hotels und Theater, als der Zug am
    Lehrter Bahnhof hielt. 
      In meinem Waggon gab es einen Lehrer. Ein alter gemütlicher Mann mit großen blauen Augen und glänzender Glatze. An irgendeinem Vorstadtbahnhof winkte ihm fröhlich ein kleines Mädchen in einem zu großen Mantel zu. Er lächelte zurück und begann Grimassen zu schneiden. Das Mädchen machte seine Mutter auf das lustige Gesicht zwischen den Lücken im Bretterbeschlag des Viehwaggons aufmerksam. Ich sah den Schrecken in ihren Augen, als sie erkannte, mit wem ihr Töchterchen da lachte. 
      Zu Sachsenhausen ist nicht viel zu sagen, außer, dass ich wie alle anderen dort nichts weiter als eine beliebige Nummer war und genauso wie alle anderen einfach irgendwie durchzukommen versuchte. Später in Auschwitz war ich wenigstens Arzt.  In Auschwitz gab es drei Kategorien von Menschen: Solche, denen man einen Rest Recht auf Leben zugestand, solche, denen man es absprach und solche, die entschieden, wer weshalb in welche Kategorie gehörte.
      Man redet so viel von den kleinen Rädchen im großen Getriebe. Aber ich habe keine Rädchen an der Rampe in Auschwitz die Fracht der Waggons selektieren sehen. Für dich sind die Lager  nur Namen in Zeitungen. Für mich waren sie Magen und Gedärme eines riesigen Ungeheuers aus Papier, Stacheldraht, Holz, Stahl, Backstein und Angst. Hunderttausende hat es verschlungen. Mich  nicht. Zwar bin ich  gefressen, hinuntergeschluckt, halb verdaut und durch einen Darm voller Scheiße getrieben worden – aber dennoch nicht draufgegangen.  Ich bin kein Masochist. Ich schulde den Lagern nichts. Aber sie zu verleugnen, hieße denen, die sie geführt haben noch im Nachhinein zuzugestehen, ihre Finger weiterhin auf Knöpfe in MEINEM Kopf halten zu dürfen.
      Ende Mai 43 kam ich in Auschwitz an. In meinen Frachtpapieren war mein Beruf vermerkt. Deshalb ging ich nicht ins Gas.
      Mein erster Tag. Eine Lazarettbaracke in Birkenau: Niemburg,  Obersturmführer und keine fünfundzwanzig Jahre alt, hatte mich zu sich befohlen. Zugleich forderte er von der Wache zwei weitere Häftlinge an. Einen Mann, eine Frau.  Niemburg schickte sie in einen gefliesten Raum neben seinem Büro. Der Mann war ein paar Jahre älter als die Frau. Beide waren glaube ich Holländer. Niemburg versprach ihnen Sonderrationen, wenn sie sich freiwillig zu einem kleinen harmlosen Experiment bereit erklärten. Ihnen war klar, was sein Angebot bedeutete: die Chance auf ein paar Gramm mehr Brot, ein paar Unzen Hoffnung mehr. Ein bisschen mehr Leben mitten im Herzen des Todes.
    Sie zogen sich aus.
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