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Wolfstränen - Roman (German Edition)

Wolfstränen - Roman (German Edition)

Titel: Wolfstränen - Roman (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
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ändern, Sir«, sagte Nell.
    »Es geht nicht um Frühjahrsblümchen, nein ... diese Stadt hat ihren Charme verloren.« Blackhole legte seine Handfläche auf die Titelseite der Zeitung. Der Siegelring der Blackholes blitzte auf. »Die Cholera haben wir gerade überlebt und schon bricht in Westminster ein neues Fieber aus. Man hat dicht neben der Abtei ein ganzes Netz von Senkgruben gefunden! Wissen Sie eigentlich, dass aus den vorhandenen Kloaken jährlich über sieben Millionen Kubikfuß Schlamm und Kot in den nördlichen Bereich der Themse gepumpt werden? Das ist ekelhaft! Diese verfluchte Stadt wächst unaufhaltsam. Wir zählen schon über zwei Millionen Einwohner und ich frage mich, wo das enden soll?«
    Er blickte Nell an und in seinen dunklen Augen funkelten irisierende Feuer. Seine weichen Lippen kräuselten sich und auf seinem lockigen schwarzen Haar fing sich kaltes Herbstlicht. Obwohl er saß, musste er nur andeutungsweise zu Nell hochblicken. »Entschuldigen Sie meine schlechte Stimmung, aber es gab eine Zeit, da liebte ich London - außerdem hatte ich keine gute Nacht!«
    Nell nickte und wollte sich zurückziehen. Sie erinnerte sich an den Gestank der Cholera und schnüffelte unwillkürlich. Dieses Haus roch nach Holz und Seife, roch sauber . Zudem verströmte Sir Blackholes Parfüm einen feinen Blütenduft.
    »Warten Sie«, winkte Blackhole. »Warum musste ich gestern Abend auf meinen Tee verzichten?«
    »Ich verstehe nicht, Sir ...«
    »Sie verstehen sehr gut!« Aus seiner Stimme wich die Melancholie. »Wie mir Drought heute Morgen mitteilte, hatten Sie gestern Abend eine Auseinandersetzung mit ihm. Er erwischte Sie dabei, daß Sie an meiner Tür lauschten und stellte Sie zur Rede. Er befahl Ihnen, mich sofort zu bedienen, aber Sie ließen ihn stehen wie einen dummen Jungen!«
    Nell schluckte. Sie mochte Adrian Blackhole. Er sah blendend aus, war gebildet und kultiviert und hatte sich in den letzten zehn Monaten als rechtschaffener Dienstherr erwiesen. Er war ein fünfunddreißigjähriger Mann, sechzehn Jahre älter als sie, und seine Ausstrahlung ließ Nell nicht kalt, ja - es gab Momente, in denen sie aufrichtig bedauerte, daß die gesellschaftlichen Brücken zwischen ihm und ihr niemals überquert werden konnten. »Das ist nicht wahr! Drought lügt!«
    »Sie sind eine seltsame Frau«, flüsterte Blackhole. Er nippte an seinem Tee und blickte sie über den Rand der Tasse hinweg an. »Vor fast einbem Jahr nahm ich Sie in meine Dienste, obwohl Sie nicht bereit waren, mir allzu viel aus Ihrer Vergangenheit zu erzählen, abgesehen davon, daß Sie von einer freundlichen Familie aufgezogen wurden und Ihre Eltern in Indien am Gelbfieber starben. Ein bißchen wenig Referenz, finden Sie nicht auch, Miss Winters?«
    Nell schwieg.
    »Mister Drought herrscht über die Hausangestellten. Er ist ein guter Butler, wenn nicht sogar der Beste! Und wir beide wissen, daß ich Mister Drought durch Ihre Anstellung in arge Verlegenheit brachte. Noch heute verlangt er nach Ihren Referenzen, was sein gutes Recht ist. Er will schlicht und einfach wissen, wer Sie wirklich sind!« Ein feines Schmunzeln stahl sich in sein Gesicht. »Nun – mit diesem kleinen Kampf werde ich schon fertig, immerhin ist Mister Drought schon seit mehr als vierzig Jahren in Stairfield House. Andererseits ... das ich Sie zu mir nahm, war ein gesellschaftliches Risiko für einen Mann meiner Position! Besonders, wenn man bedenkt, daß meine Gattin nur drei Monate zuvor ein Opfer der Cholera wurde. Immerhin sind Sie eine ungemein attraktive Frau. Sie kennen ja die Speichellecker und Idioten, die nur darauf warten, daß ich ihnen den Rücken zuwende, um mir ein Messer hineinzustoßen. Ein Mann wie ich hat viele Feinde. Trotzdem - ich scherte mich einen Dreck um das Gequatsche und gab Ihnen Arbeit - eine gute Arbeit, wie ich annehme, nicht wahr?«
    Nell nickte.
    Es war nicht ganz ungefährlich, als Hausmädchen in Diensten zu sein. Nicht selten wurden diese armen Dinger von ihren Herren missbraucht, manchmal auch von Paaren.
    Von der Straße her drang gedämpftes Hufeklappern in den Salon.
    In den Zwingern heulten die Hunde.
    Ein Fensterladen schlug im Wind.
    »Sie spielen Ihre Rolle gut, Nell!«
    Er hatte sie das erste Mal mit ihrem Vornamen angeredet und Nell akzeptierte es schweigend.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir!«
    »Sehen Sie - eben das meine ich!« Er streckte seine langen Beine aus. Sein Zeigefinger tänzelte über den Rand der Tasse.
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