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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wimmerte noch immer vor Schmerz. Trotzdem beugten sie sich alle drei über die Galerie und sahen nach unten.
    Es war ein Anblick wie aus Dantes Inferno.
    Das Wohnzimmer stand in Flammen. Die Hitze war so gewaltig, daß das Metall der Fensterrahmen zu schmolzen begonnen hatte und Stefan spürte, wie die Haut auf seinem Gesicht Blasen schlug und sich seine Augenbrauen und das Haar auf seiner Stirn kräuselten. Barkow und White hatten schützend die Hände vor die Gesichter gehoben und keuchten vor Pein, starrten aber weiter unverwandt nach unten. Inmitten der höllischen Glut tobte ein Schatten.
    Die Werwölfin brannte. Ihr Körper war in einen Mantel lodernder, weißglühender Flammen gehüllt, die ihr immer furchtbarere Verletzungen zufügten. Sie schrie, in hohen, unmenschlich spitzen Tönen, warf sich in schierer Agonie hin und her und versuchte vergeblich, einen Ausweg aus der Flammenhölle zu finden, in der sie gefangen war. Dabei befand sich ihr Körper in ununterbrochener, grauenerregender Verwandlung. Mal schien sich ein Mensch dort unten zu winden, mal ein großes, vierbeiniges Tier mit schlankem Schädel, mal etwas beinahe Formloses, in einem Zustand zwischen Werden und Vergehen Gefangenes, und für einen Moment ähnelte sie tatsächlich dem klassischen Bild eines Werwolfes: eine gedrungene, haarige Kreatur mit Klauen und Schweif, einem massigen Schädel und einer langgezogenen Schnauze voller furchtbarer Reißzähne. Doch auch die Form hielt nur Sekunden. Ihr Fleisch begann in der Hitze zu schmelzen. Sein Kochen und Brodeln nutzte nichts mehr, die Flammen verzehrten das Protogewebe schneller, als es sich neu bilden konnte. In ihren letzten Sekunden schließlich hörte Sonja auf, sich zu wehren. Sie sank auf die Knie, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein langgezogenes Heulen aus, einen Laut so voller Qual und Pein, daß sich auch in Stefan etwas zu krümmen schien. Todfeinde oder nicht, keine Kreatur hatte es verdient, solch unvorstellbare
    Schmerzen zu erleiden.
    »White!« sagte er.
    Der Amerikaner verstand. Er blinzelte immer hektischer in die blendende Helligkeit, zog aber trotzdem seine Pistole, zielte sorgfältig und drückte ab.
    Die Kugel traf die sterbende Werwölfin in die Stirn und warf sie in die Flammen zurück.
     
    Nichts hatte sich in den vergangenen dreieinhalb Wochen hier verändert, als existierte das Haus, das wie ein ins gigantische vergrößertes Schwalbennest in das Tal hineinragte, in einer Dimension außerhalb der Zeit. In gewissem Sinne stimmte das sogar, dachte Stefan. Dieses Gebäude hoch über den Wipfeln des Wolfsherzens war zwar von Menschen erbaut worden, aber nicht
für
sie. Er konnte die frühere Anwesenheit Whites, Rebeccas und seiner selbst hier spüren und natürlich die der Russen. Der gewaltsame Tod Barkows hing noch immer wie etwas Greifbares in der Luft, als wäre er erst Minuten her, nicht fast eine ganze Mondphase, aber er spürte auch ebenso deutlich, daß seither kein anderer Mensch das Haus betreten hatte; so wenig wie seit dem Tag, an dem dieses Gebäude fertiggestellt worden war. Es war ein Mahnmal für die Bewohner des Tales, die in menschlicher Gestalt kamen, aber keine Menschen waren.
    Nichts hatte sich seit ihrem letzten Hier sein verändert. Selbst die dunklen Flecken auf dem Tisch waren noch da: Barkows Blut, das angetrocknet und niemals weggewischt worden war.
    Stefan hörte die Schritte mehrerer Personen, die sich dem Haus näherten. Er drehte sich herum, trat mit einem großen Schritt an dem Loch im Bretterboden vorbei, das sie damals hineingebrochen hatten, und ging zum Fenster.
    Dieser
Anblick
hatte
sich verändert. Während der letzten dreieinhalb Wochen war der Großteil des Schnees geschmolzen. Nur hier und da gewahrte er noch ein weißes Schimmern auf dem Boden, das Glitzern von Eis in einer Felsspalte oder einen weißen Tupfer auf den Baumwipfeln. Das Wolfsherz bot einen phantastischen, majestätischen Anblick. Der Mond überschüttete die Baumwipfel mit silbernem Licht, das alle Farben auslöschte, aber etwas anderes, Unbekanntes und Verlockendes mit sich brachte.
    Stefan schloß die Augen und konzentrierte sich mit aller Macht. Es fiel ihm unendlich schwer, der Verlockung des Mondlichts zu widerstehen. Der Wolf in ihm erinnerte ihn immer nachdrücklicher an die Abmachung, die sie getroffen hatten.
    Bald,
dachte er.
Bald.
    Die Schritte kamen näher. Stefan trat vom Fenster zurück, warf aber noch einmal einen Blick zu dem felsigen Grat
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