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Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut

Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut

Titel: Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut
Autoren: Lori Handeland
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anderer Jungen zu beenden. Ich fühlte nicht den kleinsten Anflug von Schuld, ihn als Versuchskaninchen zu benutzen.
    Ich streckte den Arm aus und legte ihm meine tätowierte Handfläche an die Stirn.

36
    Ich wartete auf den eisigen Stachel des Schmerzes. Stattdessen spürte ich nichts als Dunkelhei t – so als würde eine Decke über meinen Geist gebreitet.
    Irgendwo in dieser Dunkelheit wimmerte die Seele des achtzehnjährigen Jack. Ein winziges Licht wurde heller und heller, und plötzlich löste sich die Finsternis auf.
    Jack starrte mich voller Verwirrung an. Er sah noch genauso aus wie vor meiner Berührung. Er war nicht um fünfzig Jahre gealtert. Er hatte keine tödlichen Verwundungen, die er nicht länger heilen konnte. Das Einzige, was sich verändert hatte, waren seine Augen. Es tobte kein Dämon mehr in ihnen, der auszubrechen versuchte.
    „Wer seid ihr?“ Er blickte sich auf der Lichtung um und zuckte zusammen, als er das Massaker entdeckte. „Wo bin ich?“
    „Bring ihn von hier weg“, befahl ich Edward.
    „Nicht so schnell“, widersprach er. „Vielleicht sollten wir noch einen letzten Test durchführen.“
    „Was für eine Art von Test.“
    „Der Vollmond steht kurz bevor.“
    Ich schaute zum Himmel. Die Nacht senkte sich herab. Ich war länger im Land der Seelen gewesen, als ich gedacht hatte.
    Ein Summen breitete sich in meinem Kopf aus, zusammen mit einem verzweifelten Bedürfnis; meine Kehle war vor Durst wie ausgedörrt. Ich war gleichzeitig verändert und noch immer dieselbe.
    Ich kramte in meinen Taschen herum, fand die einzelne Phiole mit Serum und leerte sie in einem langen Zug. Der pulsierende Ruf des Mondes und das heftige Verlangen nach Blut wurden schwächer.
    „Wenn der Mond hoch am Himmel steht und er sich nicht verwandelt, ist er geheilt.“ Edward starrte mich an. „Falls du ihn wirklich kuriert hast, wartet in der Zukunft mehr Arbeit auf dich, als du bewältigen kannst. Da bleibt dir keine Zeit mehr, mit dem FBI herumzuknutschen.“
    Zorn über die Unverfrorenheit dieses Mannes erfasste mich und ließ mich in schärferem Ton mit ihm sprechen, als ich es je zuvor gewagt hatte. „Das ist alles, was du zu sagen hast? Keine Worte der Weisheit für deine Enkelin? Keine Entschuldigung?“
    „Weswegen sollte ich mich entschuldigen?“
    „Wegen meiner Mutter. Deiner Tochter.“
    Ich hätte schwören können, dass er zusammenzuckte, aber es konnte auch nur ein von den schwächer werdenden Sonnenstrahlen erzeugtes Trugbild gewesen sein. Edward interessierte sich für nichts und niemanden als die Jagd.
    „Ich hatte keine Wahl.“
    „Du hattest bei mir eine Wahl. Du hättest mir sagen können, wer ich bin. Mir ein bisschen Zuneigung entgegenbringen.“
    „Nein, das konnte ich nicht.“ Seine knochigen Schultern sackten nach unten, und er wandte sich dem Horizont zu. „Ich habe zu viele Frauen verloren, die ich liebte. Jedes Mal, wenn die Monster mir wieder eine nahmen, wurde ein Teil von mir zerstört.“
    „Er muss wirklich viele Frauen verloren haben“, raunte Jessie.
    Ich ging über das trockene Laub, bis ich direkt hinter dem Mann stand, der mein Großvater war.
    „Ich wusste nicht, zu was du werden würdest“, sagte er leise. „Ob ich dich eines Tages würde töten müssen. Wie hätte ich dich auf den Knien schaukeln und dir erzählen sollen, dass alles gut werden würde? Wäre das nicht eine noch größere Lüge gewesen als all die anderen?“
    Ich war mir nicht sicher, verstand sein Dilemma jedoch. Abgesehen davon war die Vorstellung, wie er ein Kind auf den Knien schaukelte, furchteinflößender als all die Kreaturen, die nachts ihr Unwesen trieben.
    „Warum hast du mich nicht getötet, als ich mich das erste Mal verwandelte?“
    „Jedes Mal, wenn ich dich ansah, fand ic h … “
    „Wen?“
    „Du hast die Augen deiner Großmutter.“ Er atmete tief ein und straffte die Schultern. „Ich hatte recht, dich am Leben zu lassen. Du warst der Schlüssel zu allem.“
    „Schon komisch, wie das gelaufen ist.“
    „Das Leben hat die Angewohnheit, seine Kreise zu schließen, wenn man ihm genügend Zeit lässt.“
    „Du hättest mir die Wahrheit sagen können, als ich aus Stanford zurückkam.“
    „Da war es schon zu spät. Es gab zu viele Lügen. Und ich wollte nicht, dass irgendjemand Bescheid wusste.“
    „Wie entsetzlich, eine Enkeltochter zu haben, der einmal im Monat ein Fell wächst.“
    „Ja, das ist es.“
    Er ließ mich ohne ein weiteres Wort stehen.
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