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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein -
Autoren: Der Inquisito
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sagte er, in bewußt übertrieben drohendem Tonfall. »Und versuch nicht noch einmal, mich anzugreifen, oder ich verprügele dich so, daß du deinen eigenen Namen vergißt, Bursche!« Im Grunde tat ihm der Junge leid. Er hatte weiter nichts gewollt, als seine Mutter zu verteidigen, die er bedroht glaubte. Aber das änderte nichts daran, dachte Tobias, daß er gefährlich war. Trotz seiner gerade erst sechs oder sieben Jahre hatte er bereits gelernt zu kämpfen.
    Er warf dem weinenden Jungen einen letzten, drohenden Blick zu, dann ging er rasch zu der Frau zurück und kniete neben ihr nieder; wohlweislich allerdings so, daß er sie und den Knaben im Auge behalten konnte.
    Die Frau lag mit geschlossenen Augen auf der Seite, aber sie war noch bei Bewußtsein. Es ging ihr nicht sehr gut, wie ihr keuchender, unregelmäßiger Atem und ihre glühende Stirn bewiesen. Tobias warf einen raschen Blick zu dem Jungen hin-
    über - er hatte sich nicht gerührt, verfolgte aber mißtrauisch jede seiner Bewegungen -, dann beugte er sich herab und drehte sie behutsam auf den Rücken. Ihre Haut fühlte sich heiß und trocken an, und ihr Herz pochte so heftig, daß Tobias den rasenden Takt durch ihr Kleid hindurch spürte, als er sie an den Schultern ergriff. Sie stöhnte leise und hob für einen Moment die Lider, aber er war nicht sicher, ob sie ihn wahrnahm. Der kurze, verzweifelte Angriff auf ihn schien auch den letzten Rest ihrer Kraft aufgezehrt zu haben.
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    Er sah aus den Augenwinkeln, wie der Junge aufstand, wandte sich in der Hocke zu ihm und winkte ihn herrisch zu sich heran. »Hilf mir!«
    Der Knabe kam zögernd heran, aber er schien jetzt endgültig zu begreifen, daß Tobias seiner Mutter nichts Böses wollte, denn nach einem weiteren Augenblick half er ihm, die fiebernde Frau in eine halbwegs bequeme Haltung auf dem Waldboden zu betten. Tobias bedauerte jetzt, seine Sachen nicht geholt zu haben. Er hatte nicht einmal etwas, das er ihr anstelle eines Kissens unter den Kopf schieben konnte, und schon gar nichts, ihre Schmerzen zu lindern.
    Und Schmerzen hatte sie. Ihre Lippen waren blau und bebten, und trotz des schlechten Lichtes hier konnte Tobias erkennen, daß ihre Haut bleich wie die einer Toten war. Ein Netz feiner Schweißperlen bedeckte ihr Gesicht, und als sein Blick an ihrem Kleid herunterwanderte, sah er, daß sie noch immer blutete. Er fühlte sich hilflos. Er war Priester, kein Arzt.
    »Wir . . . brauchen Hilfe«, sagte er stockend. »Lebt jemand hier im Wald, in der Nähe?«
    Der Junge schüttelte den Kopf und schwieg.
    »Dann lauf ins Dorf«, sagte Tobias. »Sag Bescheid, was passiert ist. Sie sollen einen Wagen schicken. Habt ihr einen Arzt in eurem Dorf?«
    Was für eine dumme Frage. Der Junge sah ihn auf eine Art an, die Tobias klar machte, daß er nicht einmal wußte, was ein Arzt war.
    »Aber dann doch sicher eine Hebamme«, sagte Tobias.
    »Geh und hol sie. Lauf!«
    Obwohl er das letzte Wort geschrien hatte, rührte sich der Junge nicht von der Stelle. Sein Blick irrte nur zwischen Tobias und dem Gesicht seiner Mutter hin und her.
    »Worauf wartest du?« fragte Tobias grob. »Geh endlich!«
    Zum ersten Mal antwortete der Junge: »Ihr werdet sie töten.«
    »Was für ein Unsinn!« fuhr Tobias ihn an. »Sie wird sterben, wenn wir nichts tun, begreif das doch!«
    Der Junge war wie erstarrt. Nur seine Lippen begannen zu 23
    zittern, und die Tränen, die jetzt über sein Gesicht liefen, rührten nicht mehr von dem Schlag her, den Tobias ihm versetzt hatte. »Laß ihn. Er hat . . . recht.«
    Die Stimme der Frau klang schwach, ihre Worte kaum
    mehr als ein letzter Hauch. Unwillkürlich richtete Tobias die Augen zum Himmel und begann ein kurzes Gebet.
    »Laß uns in Frieden. Geh«, flüsterte die Frau dann.
    Tobias war so verblüfft, daß er im ersten Moment nicht einmal Worte fand, um zu antworten. Sein Blick glitt noch einmal über das Gesicht der jungen Frau. Ihr Alter war schwer zu schätzen, denn sie war mindestens ebenso
    schmutzig und verwahrlost wie der Junge, aber ihre Stimme klang jung, obwohl das Fieber sie hatte brüchig werden lassen, und ihre Zähne waren unversehrt und von einem fast makellosen Weiß. Sie konnte kaum älter als zwanzig sein, dachte er bestürzt.
    »Geh!« sagte sie noch einmal, als er nicht reagierte. Ihr Blick flackerte. Sie atmete mühsam ein - jeder Atemzug wurde von einem rasselnden Laut begleitet -, und Tobias sah, daß ein rascher, aber sehr heftiger Krampf ihren
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