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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein -
Autoren: Der Inquisito
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wahrscheinlich aber ein Mord. Kein Bote aus der Hölle. Es war nicht aus dem Hexenkreis im Wald gekommen, sondern aus dem Schoß einer Frau, die es nicht haben wollte.
    Seine Beruhigungsversuche halfen. Tobias' Herz raste noch immer wie der Hammer eines von Veitstanz befallenen Schmiedes, und alle seine Glieder zitterten, aber der Wahnsinn wich allmählich aus seinen Gedanken. Langsam stand 15
    er auf, watete wieder in den Fluß zurück und zwang sich, den winzigen toten Körper im Wasser genau zu betrachten.
    Es war ein sehr kleines Kind. Ein neugeborener Knabe.
    Obwohl unter Wasser, war sein Körper noch hier und da mit Mutterpech beschmiert, und aus der Nabelschnur - zerrissen, nicht zerschnitten! - stiegen rosarote Schlieren auf und verteilten sich im Wasser. Vielleicht hatte er sogar etwas von diesem Blut . . .
    Tobias verscheuchte auch diesen Gedanken, ehe ihm übel werden konnte, und beugte sich herab. Behutsam hob er das Kind aus dem Wasser, trug es ans Ufer und legte es ins Gras.
    Sein Körper war noch warm. Im ersten Moment hatte er es nicht gemerkt, denn das eisige Wasser hatte jedes bißchen Wärme aus seiner Haut gesogen, aber jetzt spürte er, daß darunter noch warmes Fleisch war. Hätte er es gekniffen, dann hätte es geblutet. Es konnte erst vor wenigen Augenblicken geboren sein.
    Und das bedeutete, daß seine Mutter ganz in der Nähe sein mußte!
    Plötzlich fiel ihm die Bewegung ein, die er auf der Brücke zu sehen geglaubt hatte. Er hatte sie sich nicht eingebildet.
    Jemand war dort gewesen. Vielleicht die Mutter dieses toten Kindes.
    So schnell er konnte, streifte er sich sein nasses Hemd wieder über und rannte los. Die Brücke war weiter entfernt, als er geschätzt hatte, und da er dicht am Fluß entlanglief, um den Schutz der Böschung auszunutzen und nicht vorzeitig entdeckt zu werden, kam er nicht besonders gut voran. Er brauchte lange, bis er die Brücke erreicht hatte; zu allem Überfluß glitt er auf dem nassen Gras auch noch aus und schlug sehr schmerzhaft hin, so daß er einige Augenblicke benommen liegenbleiben und nach Atem ringen mußte.
    Schließlich kroch er das letzte Stück der Böschung auf Händen und Knien hinauf und richtete sich keuchend auf.
    Er war allein. Die Brücke erwies sich als ein überraschend massives Bauwerk, das viel zu mächtig für das schmale Flüßchen zu sein schien, aber er konnte von seinem Stand-punkt aus bequem über die kniehohe Mauer blicken, und 16
    von hier aus setzte sich der Weg schnurgerade bis nach Buchenfeld fort. Niemand war zu sehen.
    Enttäuscht, aber auch ein wenig erleichtert, ohne daß er den Grund dafür im ersten Moment selbst zu sagen wußte, wollte er sich schon wieder umdrehen und zu der Stelle am Flußufer zurückgehen, an der er seine Kleider zurückgelassen hatte, als er die Spuren sah. Sie führten auf der anderen Seite der Brücke die Böschung hinab und endeten in einem großen Flecken niedergetrampelten Grases. Er folgte ihnen, und obwohl er wenig Erfahrung in solcherlei Dingen hatte, fiel es ihm nicht sehr schwer, die Geschichte zu verstehen, die sie ihm erzählten: Jemand war vor nicht allzulanger Zeit hier ans Ufer des Flusses hinuntergestiegen und hatte sich ins Gras gesetzt. Die Pflanzen waren in weitem Umkreis nieder-gedrückt, als hätte jemand mit aller Gewalt daraufgetreten (oder vor Schmerz mit den Beinen gestrampelt?). Tobias mußte nicht sonderlich intensiv suchen, um auch den letzten Beweis dafür zu finden, daß er hier nicht auf die Spuren eines unbedarften Wanderers gestoßen war, der wie er den Fluß zu einer letzten Rast benutzte: Nur ein paar Schritte flußabwärts fand er ein Bündel blutiger Tücher. Er angelte es aus dem Fluß, wickelte es auseinander und warf es nach einem Augenblick angeekelt zurück ins Wasser. Diesmal wurde es von der Strömung ergriffen und rasch davongetragen. Die gemauerte Unterseite der Brücke verwehrte von hier aus den Blick auf die Stelle, an der er zum Ufer hinuntergegangen war. Deshalb hatte weder er die Frau noch sie ihn gesehen. Seine Erregung wich einem tiefen, fast heiligen Zorn, als er sah, wie die Strömung das Bündel auseinander-riß und davonschwemmte. Dasselbe hatte auch mit dem Kind passieren sollen. Wäre er nicht genau in diesem Moment vorbeigekommen, so wäre das Verbrechen wahrscheinlich niemals ruchbar geworden.
    Und die Kindsmörderin mußte noch ganz in der Nähe
    sein! Der Weg zur Stadt zurück betrug mindestens eine halbe Stunde, zumal für eine Frau, die
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