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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein -
Autoren: Der Inquisito
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Sinne.
    Er konnte allerdings nicht sehr lange ohnmächtig dagele-gen haben, denn als er erwachte, hörte er das Geräusch von Schritten, die sich entfernten. Stöhnend öffnete er die Augen, hob die Hand an den Kopf und fühlte warmes Blut auf seinem Gesicht. Er versuchte sich aufzurichten, schaffte es beim zweiten oder dritten Anlauf und zog die Knie an den Körper, um die Stirn darauf zu betten. Die Schatten des Waldes führten einen irren Tanz um ihn auf, und die Übelkeit kam zurück; für einen Moment schlimmer und quälender als der hämmernde Schmerz in seinem Kopf.
    Pater Tobias blieb lange so sitzen, und als Schmerz und Übelkeit schließlich abebbten, waren die Schritte Gretas und des Knaben längst verklungen.
    Mühsam stand er auf, suchte an einem Baumstamm Halt und wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus den Augen. Er fühlte sich schwach. Seine Knie zitterten, und er spürte, daß die Übelkeit bei jeder größeren Anstrengung sofort zurückkommen würde, so daß er den Gedanken, die beiden zu verfolgen, fast augenblicklich wieder aufgab. Er verspürte auch wenig Lust, in seinem Zustand mit einer halbtoten Frau und einem vom Teufel besessenen Kind zu kämpfen.
    Der Weg zurück zum Fluß kam ihm viel weiter vor als der Hinweg. Das Gehen bereitete ihm Mühe. Sein Schädel
    dröhnte bei jedem Schritt, als wolle er zerspringen. Das Licht schmerzte in seinen Augen, und das Blut auf seinem Gesicht begann einzutrocknen, so daß die Haut unangenehm spannte.
    Und mit jedem Schritt, den er sich vom Wald entfernte, stieg sein Zorn.
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    Dabei galt er weniger dieser Frau, die vielleicht nur halb verrückt vor Angst gewesen war, und ihrem Sohn, der nichts anderes getan hatte, als seine Mutter zu verteidigen, sondern sehr viel mehr sich selbst, daß er sich so von den beiden hatte übertölpeln lassen.
    Taumelnd vor Schwäche und Schmerzen erreichte er die Brücke, schlitterte ungeschickt die Böschung hinunter und watete knietief ins Wasser. Er vermied es absichtlich, sein Spiegelbild im Fluß anzusehen, denn er vermutete zu Recht, daß er keinen sehr imposanten Anblick bot, sondern ließ sich auf die Knie herabsinken und tauchte den Kopf ins Wasser.
    Er wusch sich gründlich das Gesicht und das Haar und fuhr mit den Fingerspitzen über seine Schläfe.
    Die Berührung tat weh, aber sie verriet ihm auch, daß er nur eine harmlose Wunde davongetragen hatte. Trotzdem wusch er sie gründlich aus, ebenso wie die Schrammen auf seinem Handrücken und die zahllosen kleinen Kratzer und Abschürfungen an seinen Füßen, denn er wollte nicht ein dummes, überflüssiges Fieber vollenden lassen, was der Junge angefangen hatte. Erst als er sicher war, alles getan zu haben, was er konnte, richtete er sich wieder auf und ging im Fluß bis zu der Stelle zurück, an der er seine Kutte und den Beutel mit seinen Habseligkeiten zurückgelassen hatte.
    Und das tote Kind.
    Es war nicht mehr da.
    Im allerersten Moment war er so verblüfft, daß er seinen Augen nicht traute. Überrascht blickte er um sich, suchte die Böschung und das Ufer ab und sah schließlich sogar in den Fluß.
    Das Kind war nicht mehr da. Jemand mußte es geholt
    haben.
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2
    Es wurde fast Mittag, bis er Buchenfeld erreichte. Die Strecke vom Fluß zur Stadt erwies sich als weitaus länger, als es den Anschein gehabt hatte. Außerdem hatte er seine eigenen Kräfte über- oder die Schwere seiner Verwundung unterschätzt; allein vier- oder fünfmal mußte er unterwegs haltmachen, weil Übelkeit oder Schwindelgefühl ihn plagten, und einmal wurde es so schlimm, daß er das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen.
    Tobias verfluchte sich im stillen für seinen Leichtsinn. Die verbissene Wut, mit der der Knabe ihn angegriffen hatte, hätte ihn warnen sollen. Er fühlte sich ein wenig besser, als er sich der Stadt näherte. Sein Schatten war so kurz geworden, daß es schon fast Mittag sein mußte. Zwischen den ärmlichen Häusern flimmerte die Luft, und er sah keinen Menschen, als er durch das Stadttor trat. Buchenfeld schien wie ausgestorben. Es herrschte eine Stille, die ihm noch öfter auffallen sollte und für die er erst viel, viel später eine schreckliche Erklärung finden sollte.
    Im Moment irritierte sie ihn nur.
    Buchenfeld war ein kleiner Ort - aber nicht so klein, wie er erwartet hatte. Hinter dem mit Balken verstärkten Erdwall, der die Stadt anstelle einer Mauer umgab, erhoben sich sicherlich zehn Dutzend Häuser, die meisten kleine, ärmliche
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