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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein -
Autoren: Der Inquisito
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Holzhütten mit niedrigen, strohgedeckten Dächern; nur wenige waren aus Stein erbaut. Überdies erblickte er mehrere zweistöckige Gebäude, eines davon mit einem wuchtigen Turm, daß es von Ferne wie ein mächtiges Gotteshaus aussah. Aber es war keine Kirche. Der Turm war ein Wehr-, kein Glockenturm, und bei näherer Betrachtung wirkte das Gebäude, als hätte jemand hier beschlossen, eine Burg zu errichten, aber entweder nicht die nötige Zeit oder nicht die Mittel gehabt, den Bau zu vollenden.
    Überhaupt bot Buchenfeld einen sonderbaren Anblick, nicht nur weil es offenbar ein Ort ohne Gotteshaus war.
    (Aber wo beteten die Menschen dann zu ihrem Gott?) Das 33
    Tor, durch das Pater Tobias schritt, bestand nur aus einem Rahmen, in dem vier wuchtige eiserne Scharniere vor sich hinrosteten. Ein Teil der Straße, die von dort aus zu jenem wehrhaften Gebäude in der Stadtmitte führte, war gepflastert, und zwar mit einer Kunstfertigkeit, die Tobias überraschte und die selbst den Straßen im reichen Lübeck zur Ehre gereicht hätte. Aber ein anderer Teil des Weges bestand aus staubigem, festgetretenem Erdreich, das sich bei Regen in Morast verwandeln mußte.
    Und Buchenfeld stank.
    Der Geruch von schmutzigen Kaminen schlug ihm ent-
    gegen, von menschlichen und tierischen Abfällen, von Schweiß und Krankheit. Das alles kannte er. Wenn es in den Städten, in denen er bisher gelebt hatte, etwas gab, woran er sich erinnerte, dann an den Geruch, und im ersten Moment glaubte er, es läge einfach an ihm und den paar Tagen, die er unter freiem Himmel verbracht hatte, daß er den Gestank der Stadt so deutlich wahrnahm.
    Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Es war nicht das erste Mal, daß er nach längerer Wanderschaft in eine Stadt zurückkam - und Buchenfeld war nicht einmal eine richtige Stadt, sondern nur ein winziger Flecken, von dem man ihm gesagt hatte, daß seine Einwohner keine tausend Seelen zählten. In einer Stadt wie Lübeck, in der viel mehr Menschen zusammenlebten und ihre Abfälle und Ausscheidungen auf die Straßen kippten, war ein solcher Gestank erklärbar - aber hier?
    Pater Tobias blieb stehen und sah sich um. Ein leichter Wind fuhr über die niedrige Stadtmauer und zerzauste sein Haar; sonderbar, daß er diesen Gestank nicht forttrug. Es schien Tobias eher, als trüge er ihn heran.
    Hinzu kam die unheilige Stille. Selbst der faulige Wind, den er auf dem Gesicht spürte, verursachte nicht das leiseste Geräusch. Es war still wie in einer Totenstadt. Niemand zeigte sich zwischen den Häusern, kein Schatten erschien in einem Fenster, niemand kam, um ihn zu begrüßen oder auch nur neugierig anzugaffen, und das, obwohl man seine Ankunft bemerkt haben mußte, denn es gab zwischen dem 34
    Fluß und dem Ort nichts, was den Blick verwehrte. Tobias erinnerte sich, was Greta über Buchenfeld gesagt hatte, und ein Schaudern überkam ihn. Vielleicht hatte sie doch nicht ganz so irre geredet, wie er geglaubt hatte.
    Er ging weiter, ein wenig unschlüssig, wohin er sich wenden sollte. Darüber hatte er nicht nachgedacht - und warum auch? Er war nicht aus freien Stücken hier, sondern weil man ihn gerufen hatte. Also hätte man ihn empfangen müssen, wie es sich gebührte, schließlich war er ein ehrwürdiger Dominikaner. Nicht einmal nach dem Bürgermeister konnte er fragen, denn niemand kreuzte seinen Weg, und aus irgendeinem Grund war ihm der Gedanke unangenehm, an einer der Hütten klopfen und um Auskunft bitten zu sollen.
    So schlug er den Weg zur Stadtmitte ein. In einem der gro-
    ßen steinernen Gebäude würde er schon finden, wonach er suchte.
    Sein Kopf begann wieder stärker zu schmerzen, und das Licht der Sonne tat ihm in den Augen weh. Blinzelnd drehte er das Gesicht zur Seite und ging mit weit ausgreifenden Schritten weiter.
    Die Tür eines der beiden steinernen Gebäude wurde plötzlich geöffnet, und ein kleiner, mit einem schäbigen Rock bekleideter Mann trat ins Freie. Er hatte eine Glatze, die nur noch von einem dünnen, schmuddeligen Kranz grauer strähniger Haare gesäumt wurde, und ein feistes Gesicht, das wie eine Speckschwarte glänzte. Über seinem rechten Auge prangte eine häßliche Warze, die von einem dünnen Kranz eingetrockneten Blutes gesäumt war, als hätte er versucht, sie abzukratzen oder zu -schneiden.
    Er war nicht herausgekommen, um Pater Tobias zu begrü-
    ßen, denn er blieb mitten im Schritt stehen, als er ihn gewahrte, und verzog für einen Moment überrascht das Gesicht.
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