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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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oder eine seidene Bluse anfertigen lassen, und für den Herrn gibt es wunderbare Handschuhe oder ein Paar ausgesuchter Manschettenknöpfe oder ein Oberhemd aus purer Seide, nach Maß, vierzig oder fünfzig Mark. Auf Billigkeit wird hier kein Wert gelegt. Man kann nicht darauf rechnen, etwas Bestimmtes in diesem Laden zu bekommen, man kann nicht hineingehen und Kragen, Weite 40, verlangen; die jungen Damen mit den schön gelackten Nägeln hinter den Tischen würden über einen solchen Käufer nur eine mokante Miene ziehen. Hier gibt es nur Sachen und Sächelchen, die die Laune reizen, ein plötzlicher Einfall – eben hat diese Dame noch nicht gewußt, daß sie den Jumper aus Wolle brauchte, aber nun weiß sie, daß ihr Leben kummervoll und öde ohne ihn verlaufen würde.
    In diesem Laden herrscht Frau von Prackwitz. Über der Tür steht der Name Prackwitz, aber richtiger wäre es, es stünde Teschow darüber, denn es ist die echte Tochter des alten Teschow, die hier waltet. Ihre Liebenswürdigkeit, ihr Lächeln spart sie für die Kunden auf, ihre Angestellten zittern vor ihr, sie hat einen kalten, scharfen Ton. Sie ist knickrig, sie schindet Überstunden, sie hat das Auge, das alles sieht.
    Jawohl, sie hat sich mit ihrem Vater überworfen. Es ist ausgemacht, daß sie nicht mehr als das Pflichtteil bekommen wird, aber sie ist eine Teschow. Sie kann geizig sein, wenn sie ein Ziel hat.
    Sie hat ein Ziel, sie muß Geld verdienen, viel Geld, sie muß für zwei Unmündige sorgen. Wenn sie einmal stirbt, muß genug dasein für die! Sie haßt jetzt Jugend und Unbekümmertheit und Gesundheit; es macht sie krank, wenn sie ihre jungen Verkäuferinnen Blicke mit Herren wechseln sieht. Sie denkt nur noch an Mann und Tochter. Sie denktnur noch, daß diese zwei, daß sie alle drei vom Leben betrogen worden sind. So gönnt sie den andern nichts. Es gilt nur noch zu raffen, und sie rafft.
    Manchmal, in den Abendstunden, steht ein schmaler, weißhaariger Herr im Laden, er hat dunkle Augen – er sieht vorzüglich aus! Er spricht kaum etwas, aber er hat ein verbindliches, liebenswürdiges, etwas wesenloses Lächeln – diesen Damen aus dem neuen Westen gefällt er sehr. Ein Kavalier alter Schule – ein Grandseigneur –, da sieht man, was blaues Blut ist!
    Der alte Herr lächelt, er geht mit der Dame bis fast an die Ladentür, er bestätigt, daß es recht, recht warm ist. Dann macht er eine kleine Verbeugung, er sieht zu, wie die Dame sich die Ladentür öffnet, er wendet sich zurück, er geht wieder zu seiner Frau.
    Sein Hirn schläft, die Eiszeit ist eingebrochen; er war einmal der Rittmeister und Rittergutspächter Joachim von Prackwitz – jetzt ist er nur noch ein sehr, sehr alter Mann. Er marschiert nicht mehr, weder allein noch im Glied. Er dämmert.
    Aber ein ganz kleiner Rest von ehedem ist ihm geblieben – er öffnet den Damen nicht die Ladentür, er macht sie nicht hinter ihnen zu. Wäre es daheim in seiner Wohnung, in der Bleibtreustraße, er wäre den Damen behilflich, er wäre der Gastgeber, der Herr, der Kavalier. Aber er ist und er wird kein Geschäftsmann, der die Kundschaft »bedient«. Das will er nun doch nicht. Dieser kleine Rest Eigenwille ist ihm geblieben. Es ist nicht viel, aber es ist etwas!
    Seiner Tochter verblieb nicht einmal dies. Langsam, in Wochen und Monaten, hat sie sich wieder an Menschen gewöhnt. Sie kann es nun, ohne zu weinen, ertragen, daß ein Mensch freundlich zu ihr spricht. Sie sitzt den ganzen lieben langen Tag in der Hinterstube des Ladens, wo die Mädchen sitzen, die die eiligen Änderungen machen, die Hemdennäherinnen, die Zuschneiderin. Die Maschinen surren, die Mädchen schwatzen leise miteinander, die »gnädige Frau« ist vorne im Laden.
    Violet von Prackwitz sitzt still dabei. Sie sieht den Mädchen zu, sie sieht aus dem Fenster oder auf die Blumen, die in einer kleinen Vase vor ihr stehen. Sie lächelt, manchmal weint sie auch ein wenig, aber sie sagt nie ein Wort. Es wurde einmal ein Fluch über sie ausgesprochen, ihr ganzes Leben sollte sie ein Bild vor sich haben, sie hat den toten Mann gesehen, und dann kam eine Zeit, von der niemand etwas weiß.
    Weiß sie etwas davon? Weiß sie noch etwas von dem toten Mann, seinem Fluch –? Die Ärzte sagen nein, aber warum weint sie dann manchmal? Sie weint lautlos, daß die Mädchen um sie es zuerst oft gar nicht merken. Aber dann sieht es eine, und sie ruft: »Unser gnädiges Fräulein weint!« Und nun schweigen sie alle und sehen die
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