Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
klagenden Ruf. Sie wacht auf. Ihr junger Mann sitzt im Bett, er sieht völlig verändert aus, dies Gesicht kennt sie noch nicht.
    »Bist du es –?« fragt sie so leise, als fürchte sie, durch ihre Worte könne der Traum Wahrheit werden.
    Der fremdvertraute Mann neben ihr versucht zu lächeln, ein verlegenes, um Verzeihung bittendes Lächeln. »Entschuldige, wenn ich dich gestört habe. Es ist so seltsam, ich verstehe es nicht. Mir ist wirklich angst.« Und nach einer langen Pause, während er sie zweifelnd ansieht: »Ich kann nicht aufstehen …«
    »Du kannst nicht aufstehen?« fragt sie ungläubig. Es ist so unwirklich, ein Scherz, Unsinn von ihm, schlechter Unsinn natürlich. So etwas gibt es ja gar nicht, daß man plötzlich nicht aufstehen kann.
    »Ja«, sagt er langsam und scheint es auch nicht zu glauben. »Mir ist so, als hätte ich keine Beine mehr. Jedenfalls fühle ich sie nicht mehr.«
    »Unsinn!« ruft sie und springt auf. »Du hast dich erkältet, oder sie sind dir eingeschlafen. Warte nur, ich helfe dir …«
    Aber noch während sie dies sagt, noch während sie um die Betten zu ihm geht, dringt ein eisiges Gefühl in sie … Noch während sie spricht, fühlt sie: Es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr …
    Fühlt sie –? Noch die alte Frau am Fenster macht eine wütende Schulterbewegung. Wie kann sie das Unmögliche fühlen?! Der Schnellste, der Fröhlichste, der Lebendigste – und nicht gehen können, nicht einmal stehen können! Unmöglich, das zu fühlen.
    Aber die Eiseskälte bleibt in ihr, es ist, als atme sie die Kälte mit der Lebensluft immer tiefer in sich ein. Das Herz will sich wehren, aber es wird auch schon kalt, der Eisespanzer legt sich enger darum.
    »Edmund!« ruft sie beschwörend. »Wach auf! Steh auf!«
    »Ich kann nicht«, murmelt er.
    Er konnte es wirklich nicht. So wie er an jenem Morgen im Bett gesessen, so saß er nun tagaus, tagein, Jahr um Jahr da – im Bett, im Rollstuhl, in einem Liegestuhl … saß da, völlig gesund, ganz ohne Schmerzen, nur: er konnte nicht gehen. Das Leben, das so flammend begonnen, das hurtige, rasche, leuchtende Leben, das lachende Glücksleben, blaue Seidenzelte und Blüten – vorbei! Vorbei! Einmal und nicht wieder. Warum nicht wieder –? Keine Antwort. Ach, Herre, Herre, warum denn –? Wenn es aber sein mußte, warum dann so plötzlich –? Warum ohne alle Warnung, ohne Übergang –? Glücklich in den Schlaf geglitten – und elend erwacht, unermeßlich elend!
    Oh, sie fand sich nicht damit ab, keinesfalls fand sie sich damit ab! Alle zwanzig Jahre, die dies dauerte, fand sie sich nicht darein. Als er schon längst jede Hoffnung aufgegeben hatte, schleppte sie ihn immer noch von Arzt zu Arzt. AnMeldungen von einer Wunderheilung, an einer Zeitungsnotiz entzündete sich ihr Hoffen. Nacheinander glaubte sie an Bäder, Bestrahlungen, Packungen, Massagen, Medikamente – wundertätige Heilige. Sie wollte daran glauben, sie tat es.
    »Laß es doch«, lächelte er. »Vielleicht ist es grade gut so.«
    »Das möchtest du!« rief sie zornig. »Dich darein finden – demütig, was?! Das wäre bequem! Demut mag für die Übermütigen, die Glücklichen gut sein, die einen Zügel brauchen. Ich halte es mit den Alten, die um ihr Glück mit den Göttern kämpften.«
    »Aber ich bin glücklich«, sagte er freundlich.
    Doch sie wollte dies Glück nicht. Sie verachtete es, es erfüllte sie mit Zorn. Sie hatte einen Gesandtschaftsattaché geheiratet, einen tätigen Mann, Mensch im Umgang mit Menschen, einen künftigen Botschafter. An der Tür aber hing ein Schild: »Edmund Pagel – Gesandtschaftsattaché« – und dabei blieb es! Sie ließ kein neues machen: »Pagel – Kunstmaler«? Nein, sie hatte keinen Farbenreiber und Kleckser geheiratet.
    Ja, da saß er nun und malte. Er saß in seinem Rollstuhl und lächelte und pfiff und malte. Eine zornige Ungeduld erfüllte sie. Begriff er denn nicht, daß er sein Leben vertat mit diesen komischen Schildereien, über die alle nur lächelten –?
    »Laß ihn doch, Mathilde«, sagte die Verwandtschaft. »Für einen Kranken ist das sehr gut. Er hat doch seine Beschäftigung und Ablenkung.«
    Nein, sie ließ ihn nicht. Als sie ihn heiratete, war nicht von Malen die Rede gewesen. Ihr war nichts davon bekannt, daß er je einen Pinsel in der Hand gehabt hatte. Sie haßte das alles, schon den Geruch der Ölfarben. Sie stieß ständig gegen die Keilrahmen, die Staffelei war ihr immer im Wege. Sie fand sich nie mit ihr ab.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher