Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
meinethalben auch sein wie eine Tochter; ich bin altmodisch, ich glaube nicht daran, daß man seelisch sauber sein kann, wenn man vor der Ehe …«
    »Sie haben grad gesagt …«, meint Minna, ganz ungerührt von dem Ausbruch. Denn solche Ausbrüche sind tägliche Kost für sie, und die Gnädige ist ebenso schnell friedlich, wie sie wütend wird … »Sie haben grade gesagt, wenn man jemanden gerne hat, sagt man ihm auch mal was Unangenehmes. Da durfte ich Ihnen auch sagen, daß der Wolf nicht der Sohn von der Petra ist!«
    Und damit entschreitet Minna, das klirrende Tablett in den Händen, und zum Zeichen, daß sie nun erst einmal Ruhe »in ihrer Küche« haben will, schlägt sie die Tür fest zu.
    Frau Pagel versteht das auch, und sie respektiert dies altgewohnte Zeichen der Getreuen. Sie ruft nur noch schnell hinterdrein: »Schafskopf! Immer gleich beleidigt! Immer gleich wütend!« Sie lacht vor sich hin, ihr Zorn ist verflogen. So eine alte Eule, bildet sich jetzt ein, Liebe besteht darin, dem andern Unangenehmes zu sagen!
    Sie geht einmal im Zimmer hin und her, sie ist satt, denn der Zornausbruch kam erst, als sie schon genug gegessen hatte, und sie ist bester Stimmung, denn der kleine Streit hat sie erfrischt. Jetzt bleibt sie vor einem Schränkchen stehen, wählt bedachtsam eine lange, schwarze Brasil, brennt sie lange und sorgfältig an und geht dann hinüber in ihres Mannes Zimmer.

6
    An der Wohnungstür über dem bronzenen Klingelring (Löwenmaul) hängt ein angeschlagenes Namensschild aus Porzellan: »Edmund Pagel – Gesandtschaftsattaché«. Frau Pagel marschiert bereits auf die Siebzig zu, es sieht danach nicht so aus, als hätte es ihr Mann im Leben sehr weit gebracht. Betagte Gesandtschaftsattachés sind ein rarer Artikel.
    Übrigens hatte es Edmund Pagel so weit gebracht, wie es der tüchtigste Botschaftsrat und bevollmächtigte Gesandte nur bringen kann – nämlich auf den Friedhof. Wenn Frau Pagel in ihres Mannes Zimmer geht, so besucht sie nicht ihn, sondern was von ihm auf dieser Welt zurückblieb – und das hat seinen Ruf in der Welt, weit über die Wände des kleinen Heims hinaus.
    Frau Pagel stößt die Fenster des Zimmers weit auf: Licht und Luft dringen aus Gärten herein. Hier in dieser kleinen Straße, so nahe dem Verkehr, daß man abends die Hochbahn in den Bahnhof Nollendorfplatz einfahren und tags wie nachts die Autobusse rumpeln hört – hier ist ein weitläufiges Ineinandergeschiebe alter Gärten mit hohen Bäumen, verschollener Gärten, die sich seit den achtziger, neunziger Jahren kaum geändert haben. Es ist gut, hier zu wohnen – für alternde Leute. Die Hochbahn mag donnern und der Dollar klettern – geruhig schaut die verwitwete Frau Pagel in die Gärten. Das Weinlaub ist emporgestiegen bis zu ihren Fenstern, drunten wächst alles immer weiter, blüht weiter, sät sich aus – die Rasenden, Hastigen, Ruhelosen drüben mit ihrem Gepolter und Betrieb wissen es nur nicht. Sie kann zuschauen und sich erinnern, sie braucht nicht zu hetzen, der Garten darf sie erinnern. Aber daß sie hier immer noch wohnen kann, daß sie nicht mit zu hasten braucht – das hat er gemacht, dessen Werk hier in diesem Zimmer ist.
    Vor fünfundvierzig Jahren sahen sie sich zum erstenmal, liebten sich, heirateten sich später. Es gab nichts Strahlenderes, Fröhlicheres, Rascheres als ihn. Wenn sie zurückdenkt,ist ihr immer, als sei sie mit ihm bei hellem Wind durch Blütenstraßen gelaufen. Von den Mauern senkten sich die Zweige auf sie. Sie liefen schneller. Über der Spitze des häuserbestandenen Hügels wehte – zwischen zwei Zypressen – der Himmel wie ein Zelt …
    Wenn sie nur liefen, gleich würde sich der blauseidene Vorhang vor ihnen öffnen.
    Ja, was so recht seines Wesens Zeichen war, das war seine Schnelle, die nichts von Hast hatte, die aus der Kraft kam, dem Wohlgefühl, der völligen Gesundheit.
    Sie kamen zu einer Wiese mit Herbstzeitlosen. Einen Augenblick hielten sie still auf dem festlichen, grünen, lilagestirnten Teppich. Dann bückte sie sich zum Pflücken – doch sie hatte kaum zwanzig Blüten in der Hand, da kam er mit dem Strauß, leicht, rasch, ohne Eile, mit dem großen, fröhlichen Strauß.
    »Wie machst du das?« fragte sie atemlos.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Es ist mir immer, als sei ich ganz leicht, wehe mit dem Wind.«
    Der Vorhang rauscht. Ein halbes Jahr ist vorbei, sie sind nun schon eine Weile verheiratet, die junge Frau hört in ihrem Schlaf einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher