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Wohin sind wir unterwegs

Wohin sind wir unterwegs

Titel: Wohin sind wir unterwegs
Autoren: Zum Gedenken an Christa Wolf
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winzigen Bemerkung auf den Boden bringen, mit einem kleinen »Na ja«.
    Vor dreißig Jahren lernte ich sie kennen. Sie bat um ein Treffen, nachdem sie etwas von mir gelesen hatte. Wir trafen uns bei einem gemeinsamen Bekannten.Ich war sehr aufgeregt, und durch dumme Umstände kam ich mit großer Verspätung an, was meine Nervosität und Befangenheit noch steigerte. Aber dann war alles ganz einfach, sie machte es einfach. Es entstand eine Freundschaft durch gute und nicht so gute Jahre, durch die Jahre gewaltiger politischer Veränderungen, eine dauerhafte und für mich wichtige Freundschaft.
    Zuletzt verhinderten Krankheiten ein Zusammenkommen. Einladungen mußten abgesagt, rückgängig gemacht werden, zu einem Familienfest sollte sie kommen, wollte sie kommen, es ging nicht mehr. Ein großes Essen war noch geplant, Hochrippe wird es geben, hatten Christa und Gerhard angekündigt, doch es wurde immer wieder verschoben. Nun sehen wir uns vielleicht und bald in einer anderen Zeit, in einem anderen Raum.
    Vor eineinhalb Jahren, am 16. Juni 2010, stellte Christa Wolf hier in der Akademie, in diesem Saal ihr neues Buch »Stadt der Engel« vor.
    Die Lesung war, wie stets, überfüllt, und die Leser lauschten ihr andachtsvoll – fast wie eine Gemeinde.
    Sie war wie immer, sie las wie immer, eine lebhafte Person, von Mißlichkeiten des Alters gezeichnet, doch nach wie vor kräftig, unsentimental, selbstbewußt. Und mit ihrem Text ging sie mitten hinein in das, was man ihr vorwarf, worauf man bei ihr lauerte, was man gegen sie verwenden wollte.
    Wieder saß da eine stolze Frau auf der Bühne, eine Patrona, beeindruckend wie ein Monolith, also ein Stein aus einem Guß, sprach mit ruhiger, klarer Stimme, voller Würde, lebenserfahren, lebenssatt, ganz bei sich, in sich ruhend.
    In den letzten zwanzig Jahren hatte Christa Wolf Irritationen, Angriffe, Kampagnen erlebt und durchstehen müssen wie wenige deutsche Autoren vor ihr. Die, die sie liebten und schätzten, waren um sie besorgt, fürchteten um sie, um ihre Gesundheit, um ihre Arbeitskraft. Aber als sie die Bühne in Berlin betrat, schienen alle Sorgen um sie unnötig, entbehrlich, unnütz zu sein.
    Sie hatte wohl Schutzengel, die sie bewahrten, die ihr halfen.
    Einer ihrer Schutzengel, der sich lebenslang um sie mühte, ihr half, der einen Anteil an ihrem Werk hat, ist Gerhard Wolf, ihr Mann. Wir, die wir Christa Wolf schätzen und dankbar sind für ihre Arbeit und das, was sie für uns leistete, haben auch ihm zu danken, ihm, der nun als Versehrter leben muß.

MARIA SOMMER
    In diesen Tagen habe ich viel vor meinem Christa-Wolf-Regal gestanden und immer wieder den einen und den anderen Text hervorgezogen. Wie anders sollte ich denn mit ihr reden, als sie zu befragen, ihre Stimme aus ihren Sätzen zu hören, sie ganz bei mir zu haben. In einem dieser Bände, dem schönen »Sommerstück«, fand sich eine handschriftliche Eintragung: »Wollen wir uns doch noch ein paar Sommer wünschen.« Das war im Frühjahr 1989, im Frühjahr, sie war gerade 60 Jahre alt geworden. 23 Sommer hat sie noch erlebt, und was für Sommer. Glückliche gewiß auch, aber eben doch Kampf und Verleumdung, Geifer und Schmutz, eben das, was beschönigend und vornehm »Literaturstreit« genannt wurde. Es ist vorhin schon die Rede davon gewesen, sie hat darunter gelitten, schrecklich gelitten. Ich hatte das Glück, den Vorzug, einer sehr frühen Lesung im sehr kleinen Kreis eben ihres letzten Buches beiwohnen zu dürfen, das uns, die Anwesenden, tief beeindruckte, auch erschütterte. Günter Grass war dabei. Wir sprachen ein paar Tage später darüber, und er sagte, daß er eigentlich erstaunt sei, wie wenig doch über ihre Verzweiflung, ihren Kummer, ihre existentielle Krise darin vorkomme. Ich habe es ihr natürlich wiedererzählt, sie lächelte ein bißchen wehmütigund sagte: »Das kommt noch, wartet’s ab, ein Klumpen, ein ganzer schwerer, großer Klumpen.« Diesen Klumpen Verzweiflung hat sie abgearbeitet. Schwer, lange und wohl doch auch im Gefühl – so schien es mir –, es sei das letzte, das letzte Buch, das sie schreiben werde. Als das Buch 2010 dann herauskam, hat sie mit einer unglaublichen Disziplin alles getan, um es in der Öffentlichkeit so zu präsentieren, wie sie es sich gedacht hatte. Sie hat angefangen mit der Lesung hier in diesem Saal, viele solcher Lesungen absolviert, mit Disziplin, mit großem Willen und mit doch immer wieder spürbar nachlassenden Kräften. Mich hat in
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