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Wofuer die Worte fehlen

Wofuer die Worte fehlen

Titel: Wofuer die Worte fehlen
Autoren: Carolin Philipps
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hat er vor fünf Jahren mit dem Geld seiner Frau, die es von einem Onkel geerbt hatte, aufgebaut. Sie läuft gerade besser als jemals zuvor. Und wenn Kristian unbedingt an der Klassenfahrt teilnehmen wollte, würde der Vater sofort sein Portemonnaie zücken. Dass der Vater dagegen ist, hat andere Gründe.
    Morgens in der Schule ist Kristian ganz sicher, dass er fahren will. Eine Woche werden sie im Landschulheim bleiben, das an einem Fluss liegt. Man kann mit dem Kanu fahren, eine Disco gibt es auch, ein Fußballfeld und Basketballkörbe, also jede Menge Spaß ist garantiert.
    Seine Freunde stecken ihn mit ihrer Begeisterung an, planen, wer in welchem Zimmer schläft und wie sie am besten des Nachts an der Kontrolle des Lehrers vorbei in die Zimmer der Mädchen einsteigen können. Der Unterricht wird zur Nebensache.
    Zu Hause aber ist er nicht mehr so sicher, dass die Klassenfahrt eine gute Idee ist. Seine Mutter hat Spätschicht und so muss er seinen Vater um die nötigen Unterschriften bitten. Der schaut sich den Elternbrief mit gerunzelter Stirn an.
    Â»Klassenfahrt? Muss das wirklich sein? Du weißt, was dir nachts öfters passiert! Willst du Pampers mitnehmen?«
    Kristian bekommt einen roten Kopf. Er beißt sich auf die Lippen. Jetzt bloß nicht heulen, denkt er. In seinem Bauch grummelt es.
    So verständnisvoll sein Vater sonst sein kann, dass Kristian mit seinen fast fünfzehn Jahren immer noch ins Bett macht,ärgert ihn. Kristian spürt die Verachtung des Vaters und schämt sich jedes Mal ganz furchtbar.
    Zum Glück weiß niemand sonst davon, nicht einmal die Mutter. »Das bleibt unser Geheimnis!«, hat der Vater beim ersten Mal vor sechs Jahren gesagt und Kristian geholfen sein Bett neu zu beziehen. »Das verwächst sich, wenn du älter wirst, von alleine. Deine Mutter macht sich sonst unnötig Sorgen. Und die hat sie jetzt schon genug wegen Oma Herta.«
    Und so kam ein weiteres »Männergeheimnis« in die Schachtel zu den anderen.
    Angefangen hat die »Geheimniserei«, als seine Mutter nach dem Tod des Großvaters zum ersten Mal allein für zwei Wochen zu Oma Herta gefahren war und Kristian mit dem Vater und seiner Schwester Katarina zurückblieb.
    Eigentlich ist sie ja nur seine Halbschwester, seine Mutter hat sie mit in die Ehe gebracht. Der Vater hat erst sehr spät geheiratet. »Ich war wohl zu anspruchsvoll, hab vorher nie die richtige Frau getroffen«, hat er Kristian erzählt.
    Eines Tages aber lernte er auf einer Dienstreise in die Slowakei eine junge Frau mit einer zehnjährigen Tochter kennen. Er heiratete sie und brachte sie mit nach Deutschland. Sein Vater war damals zweiundfünfzig, die Mutter erst siebenundzwanzig.
    Es war nicht der große Altersunterschied, der die Ehe von Anfang an schwierig machte, es war Katarina, die sich nicht mit ihrem neuen Stiefvater verstand und auch nicht verstehen wollte. Sie wollte nur zurück zu ihrer Großmutter und ihren Freundinnen in die Slowakei, zurück in das Dorf, wo sie aufgewachsen war. Sie weigerte sich sogar Deutsch zu lernen und redete in den ersten Monaten kein Wort mit ihrem Stiefvater.
    So kam es, dass Kristian in eine Familie hineingeboren wurde, in der kein Tag ohne Streit verging, kein Tag ohne Tränen und wütendes Türenschlagen. Seine Mutter stand hilflos zwischen ihrem Mann und der Tochter, wollte vermitteln, wünschte sich einfach nur eine harmonische Familie und bekam am Ende den geballten Ärger von beiden ab.
    Kristians erste Erinnerungen waren das Kreischen seiner Halbschwester, ein Vater, dessen Stimme sich vor Wut überschlug, und eine Mutter, die ihn schluchzend an sich drückte. Obwohl ihn der Streit gar nichts anging, weinte er mit seiner Mutter.
    Später verkroch er sich bei den ersten Anzeichen eines Streits in seinem Bett, zog die Decke über den Kopf und wartete, bis sich alle wieder beruhigt hatten. Meist musste er dann Katarina trösten, mit der er sich ein Zimmer teilte und die oft die halbe Nacht in ihrem Bett lag und schluchzte.
    Auch als Katarina in der Schule eine gute Schülerin wurde, nur Einsen nach Hause brachte und die Lehrer sich vor Lob überschlugen, verbesserte sich das Verhältnis zu ihrem Stiefvater nicht. Nach wie vor endeten die meisten gemeinsamen Essen in einem bösen Streit.
    Obwohl sein Vater nur selten mit seinem Sohn schimpfte, ging Kristian ihm aus dem Weg. Er fürchtete
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