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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
Autoren: Anja Reich
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Vorgärten auf dem Land stapeln sich die rostigen Autos, aus denen man vielleicht noch mal was machen kann, und wenn die Straße ein Loch hat, legt man erstmal eine Metallplatte drauf. Die New Yorker Straßen sind gepflastert mit diesen Metallplatten, in Berlin reißen sie bei einem Loch die ganze Straße auf. Da wird abgesperrt, aufgestemmt, der Unterboden erneuert und dann alles schön wiederaufgebaut. Deswegen laufen unsere deutschen Besucher, allen voran mein Vater und mein Schwager aus Kaulsdorf, durch unsere Wohnung wie der Welt-TÜV, klopfen die Wände ab, prüfen die Elektroleitungen, inspizieren den Keller und erklären immer wieder: »Das würde bei uns so nicht abgenommen werden!«
    An Tagen wie diesen, an Tagen, an denen ich noch zwischen Europa und Amerika pendle, verstehe ich meinen Schwager aus Kaulsdorf ein bisschen. An Tagen wie diesen kommt mir mein Leben hier absurd vor. All der Müll, der Lärm und das ganze Geld. Wenn man mit dem Taxi vom JFK-Flughafen kommt, sieht New York aus wie eine verrumpelte, russische Provinzstadt. Holzhäuschen, Maschendrahtzäune, Autowracks, Müllsäcke und Schnapsläden, die gesichert sind wie die Bank von England. Der Taxifahrer ist sauer, wenn man ihm den kürzesten Weg vorschreibt und am Ende nicht mindestens sechs Dollar Trinkgeld gibt, obwohl er versucht hat, einen zu bescheißen. Aber das geht vorbei. Es geht vorbei. Wenn ich irgendwann in zwei oder drei Monaten nach Deutschland fliege, wird mir Berlin unglaublich leer vorkommen, bleich und leblos. Wenn man an einem Sonntagvormittag von Tegel mit dem Taxi in die Stadt fährt, sieht sie aus, als sei sie von einer Neutronenbombe getroffen worden. Es gibt breite Bürgersteige, aber keine Menschen und null Energie, nur ab und zu sieht man einen Berliner Neutronenbombenzombie mit schlecht gelauntem Gesichtsausdruck unter tiefen, grauen Wolken herumtaumeln.
    Es gibt kein Zurück mehr, nie wieder, am Ende geht es mir nicht viel anders als Hans. Ich habe meinen Pass verloren. Ich muss nur nicht in einem Container in New Jersey schlafen.
    Ich hole mir die
New York Times
und die
New York Post
von der Türschwelle, mache die Kaffeemaschine an und setze mich an den Küchentisch. Auf der
Post
ist eine Tochter von Mick Jagger zu sehen, Elizabeth, die für die Fashion Week nach New York gekommen ist. Sie trägt einen Hut und macht die Stones-Lippen. Die
Times
zeigt vorn lauter Fotos von den Primary-Kandidaten der Demokratischen Partei. Heute wird in New York gewählt. Ich habe das Wahlsystem hier nie richtig begriffen, es hat mich auch nie interessiert, aber ich bin der Mann des
Spiegel
in New York, von mir wird erwartet, dass ich mich mit diesen Dingen auskenne. Ich fühle mich oft überfordert von der Größe meiner Aufgabe. Es ist so ein riesiges Land, so ein bedeutsames Magazin. Manchmal ruft mich ein außenpolitischer Redakteur aus Hamburg an, morgens, wenn ich noch im Bett liege, es in Deutschland aber bereits Nachmittag ist, und fragt: »Was halten Sie von der Sache in Cleveland? Sollten wir da was machen?«, und ich habe keine Ahnung, was er überhaupt meint. Cleveland? Ich versuche in diesen Momenten, keine Bettgeräusche zu machen, und hoffe, dass mir meine Tochter nicht kreischend auf den Bauch springt oder mein Sohn aus der zweiten Etage ruft, dass das Klopapier alle ist. Dann sage ich dem außenpolitischen Redakteur auf der anderen Seite des Atlantik: »Cleveland ist natürlich interessant, man muss mal sehen, wie sich das entwickelt. Lassen Sie uns doch morgen nochmal telefonieren.«
    Es soll ein schöner Tag werden, sagt die Wetterseite der
Times
, nicht mehr so schwül wie gestern,
79
Degree Fahrenheit und sonnig. Die Küche ist bereits in dieses wundervolle New Yorker Spätsommerlicht getaucht, klar und kühl und scharf wie ein Pfefferminzbonbon.
Crisp
, nennen sie das. Ein Skilicht, ein Winteralpenlicht. Ich ziehe den Sportteil aus dem dicken Zeitungspacken.
    Die Football Saison hat begonnen, die
Jets
und die
Giants
haben verloren, vier Seiten lang werden die beiden ersten Spiele der New Yorker Teams aus jedem möglichen Blickwinkel betrachtet. Ich finde das übertrieben, ich kann American Football noch nicht richtig ernst nehmen. Kurze Bewegungen, ewig lange Pausen, Schiedsrichter, die in gestreiften Hemden und mit einem großen roten Pfeil übers Feld rennen wie Figuren aus einer Kindersendung. Baseball interessiert mich noch weniger, übergewichtige Männer mit verschwollenen Gesichtern und zu engen Hosen,
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