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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
Autoren: Anja Reich
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genau wie die Langlaufskier meiner Frau, die sie ein einziges Mal in ihrem Leben benutzt hatte, als sie sich zu schwanger für den Abfahrtslauf fühlte. Wenn man sechs Wochen lang nur mit einem Fernseher und einem Kühlschrank lebt, versteht man, wie wenig der Mensch braucht im Leben. Die deutschen Sicherheitsgitter haben dann nicht zu den schmalen New Yorker Brownstonetreppen gepasst, so dass ich im Eisenwarenladen auf der 7 th Avenue amerikanische kaufen musste. Die habe ich mit Hans angeschraubt, dem Vorarbeiter der deutsch-amerikanischen Umzugsfirma, die unseren Container leerräumte. Hans stammte aus Ostberlin wie ich. Er lebte seit acht Jahren in New York, sprach aber erstaunlicherweise kaum Englisch. Als alles angeschraubt war, holte er ein Sixpack Corona aus dem Supermarkt an der Ecke und erzählte mir, dass er kurz nach seiner Ankunft in New York seinen Pass verloren habe und deswegen nicht zurückkönne. Außerdem gebe es in Berlin noch verärgerte Türken, denen er Geld schulde, und einen ehemaligen Geschäftspartner, der ihm die Frau ausgespannt habe. Hans lebte in einem Container in New Jersey, er hatte Hunderte amerikanische Videokassetten gesammelt, mit denen er später in Deutschland ein Geschäft aufmachen wollte, von dem noch nicht klar war, wie es konkret aussehen sollte. Wir tranken Bier, fluchten auf die amerikanischen Wände, die weitgehend aus Putz bestehen, der sich in tellergroßen Flatschen löst, wenn man versucht, ein Loch zu bohren. Hans zeigte mir ein Foto, auf dem er am letzten Weihnachtsfest in seinem Container zu sehen war. Er trug einen roten Anzug und einen Cowboyhut, im Hintergrund sah man einen kleinen Weihnachtsbaum und ein Regal mit Videokassetten.
    Der erste Winter in New York.
    Ich schlief eine Nacht in unserem Ehebett und flog am nächsten Morgen nach Berlin, um meine Familie nach New York zu holen. Ich hatte ihnen zusammen mit Hans ein Nest in Brooklyn gebaut. Als die Tür in Berlin aufging, stand meine einjährige Tochter da. Meine Schwiegermutter hatte sie vorgeschickt, um mich zu begrüßen. Meine Tochter hatte mich sechs Wochen nicht gesehen, was ja ziemlich viel war in so einem kurzen Leben. Irgendwann sagte sie: »Ma … ppa.« Mapa. Zwei Silben, die mein Standing in dieser Familie ganz gut beschreiben.
    Ich wasche mir das Gesicht im Kinderbad im zweiten Stock, um meine Frau nicht zu stören. Die Leitung faucht, morgens muss hier auch das Wasser immer erst geweckt werden. Es ist der Charme des Hauses, sagt Bill McGuiness, der Vermieter. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht mit Wut an Bill denke. Besonders schlimm ist es an Tagen wie diesem, wenn ich aus Deutschland zurückkehre, aus Berlin mit seinen schönen, großen und preiswerten Wohnungen, in denen alles funktioniert. Es gibt Badewannen in Deutschland, hier haben wir nur flache, rechteckige Tröge, in denen man nicht untertauchen kann. Anfangs gab es nicht einmal Stöpsel. Wir zahlen 4200 Dollar Miete, kalt, und haben nicht einmal Stöpsel für die winzigen Witzbadewannen. Bill McGuiness hat mir einen Laden genannt, wo man Stöpsel kaufen kann. Es ist der
Hardware Store
, in dem es auch die Treppengitter gibt sowie die Ventile für unsere Heizkörper, die ächzen wie die Maschinen des Totenschiffes. Bill McGuiness ist Rechtsanwalt in einer renommierten Wirtschaftskanzlei, er wohnt in einem großen Haus auf Long Island, aber den Spülkasten im oberen Bad, der alle zwei Monate auseinanderfällt, repariert er jedes Mal mit Bindfaden. Die amerikanischen Klospülungen funktionieren anders als die deutschen, sie explodieren geradezu, wenn man sie antippt. Das hält Bills Bindfaden immer nur zwei Monate aus. Dann muss ich ihn wieder anrufen. Ich weigere mich, die Klospülung für all das Geld, das wir bezahlen, selbst zu reparieren, obwohl ich einst den Beruf des Instandhaltungsmechanikers beim VEB Wasserwirtschaft und Abwasserbehandlung erlernt habe. Bill steht irgendwann wieder mit seinem verschossenen, steifen Rechtsanwalts-Trenchcoat vor der Tür, ein Bier in der einen Hand, einen Bindfaden in der anderen. Er knüpft den Faden, spült dreimal und sieht mich belustigt an, weil ich das nicht allein auf die Reihe kriege. Ich fühle mich wie ein Kind in diesen Momenten, aber egal. Ich warte darauf, dass er die Nerven verliert und irgendwann mit einem neuen Spülkasten vor der Tür steht.
    Es ist eine Schlacht zwischen unseren Nationen. Hier in Amerika wird ja alles erstmal geflickt. Sie werfen nichts weg, in den
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