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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen
Autoren: Dermot Bolger
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wich zurück, fing dann wieder an, hin und her zu tänzeln, den Blick aufmerksam auf das Messer gerichtet.
    »Dann lass das Messer sinken. Es gibt keinen anderen Weg. Bald werden wir beide nur noch einen Körper bewohnen. Thomas McCormack wird dann nur noch eine Stimme in deinem Kopf sein. Gib mir das Messer.«
    »Wer … wer … bist … du?« Geraldines Stimme war kaum hörbar. Der Junge blickte sie an.
    »Ich bin Thomas McCormack, ein verhinderter Priester. Ich bin Joseph Nally, ein stummer Buckeliger und Schweinehirt bei den Nonnen. Ich bin Michael Byrne, der Stallbursche, der es durch Glück im Spiel weit gebracht hat, der Erbauer dieses Hauses. Ich bin Henry Dawson, der liederliche Erbe, der Castledawson House verzecht hat. Ich bin noch zahllose weitereMänner, an die sich keiner mehr erinnert. Ich bin ein Ameisenhaufen durcheinanderirrender Seelen, deren Geheimnisse nur ich kenne.«
    Als danach aus dem Jungen die Stimmen zu sprechen anfingen, nutzte der Alte die Gelegenheit, um mit dem Messer einen Satz nach vorn zu machen. Aber er traf nicht. Der Junge wartete ab, bis er wieder auf die Füße gekommen war, trat dann ruhig vor, sodass der andere ihn leicht erreichen konnte, und zog Pullover und Unterhemd aus. Schweißtropfen glänzten auf seiner nackten Brust.
    »Wenn du willst, dass wir beide sterben, dann will ich es dir leicht machen«, sagte er ruhig. »Ich werde dir sogar die Klinge führen. Doch denk daran, dass sie auf dein eigenes Herz gerichtet sein wird. Wenn du mich tötest, tötest du auch dich selbst, weil der Körper, in dem du wohnst, zu alt ist, um noch lange durchzuhalten. Er hätte schon vor zwei Jahren sterben sollen. Aber wenn ich dir die Kehle durchschneide, werden wir eins. Wir können die anderen Stimmen in dieser langen Reihe beherrschen, und wenn die Zeit kommt, haben wir die Kraft, diesem Fluch gemeinsam ein Ende zu setzen. Du willst leben, Shane, das weiß ich, denn ich kenne jedes Geheimnis deiner Seele.«
    »Was ist mit denen?« Der Alte schielte zu Geraldine und mir. »Wie passen die in deinen Plan?«
    »Das hab ich noch nicht entschieden«, antwortete der Junge. »Es war ein Fehler von mir, endlich einmal einen Freund haben zu wollen.«
    Der Ältere ließ betrübt das Messer sinken. »Du hast alles genau bedacht. Du bist ein so guter Lügner, dass es kein Problem für dich sein wird, die Polizei davon zu überzeugen, dass du hier eingebrochen bist und uns alle drei tot aufgefunden hast.Sie werden glauben, dass der geisteskranke Alte das Mädchen umgebracht hat, dann wurde er von Joey überrascht, die beiden kämpften miteinander und versetzten sich gegenseitig tödliche Stichwunden. Du wolltest nicht nur einen Freund, du hättest auch gerne Geraldine als Freundin gehabt. Aber solche Beziehungen sind für die vielen Seelen in dir viel zu gefährlich. Deshalb wirst du den Leichen all derer, die dir bisher bei deinem Weg zur Unsterblichkeit in die Quere kamen, noch zwei weitere hinzufügen. Ich dachte, ich hätte dich heute hierher gelockt, aber in Wirklichkeit hast du das mit uns getan. Kann sogar sein, dass du bis zu diesem Augenblick noch nicht genau gewusst hast, was dein Plan ist, aber jetzt haben die bösen Stimmen in dir die Übermacht gewonnen. Ich weiß, was du vorhast. Du willst uns alle töten.«

V IERUNDVIERZIGSTES K APITEL
    J OEY
    N OVEMBER 2009
    D er alte Mann fasste das Messer an der Klinge und reichte Shane den schwarzen Griff.
    »Töte mich zuerst«, flüsterte er. »Dann können wir es zusammen mit den anderen aufnehmen.«
    Ich war vor Furcht wie gelähmt, aber Geraldine schaffte es plötzlich, auf die Füße hochzukommen. Als der Junge nach dem Messer greifen wollte, schmiss sie mit der Tasse nach ihm, die auf dem Tisch stand. Instinktiv duckte er sich, und als er das tat, fasste der alte Mann das Messer plötzlich am Griff und rammte es dem Jungen in den Bauch. Shane krümmte sich vor Schmerzen, aber Thomas McCormack erging es nicht anders. Er ließ das Messer fallen und fasste sich an den Bauch, als hätte ihn dort selbst jemand verletzt. Beide sanken auf die Knie, einer das Spiegelbild des anderen.
    Geraldine versuchte an ihnen vorbeizuhumpeln, doch der Jüngere packte sie an den Haaren. Ich versetzte ihm einen Kinnhaken, er sank zur Seite und ließ überrascht los. Danach bekam er sie noch einmal an den Beinen zu fassen, aber ich trat gegen seinen Arm, bis er aufgab. Geraldine war frei und wir schafften es bis zur Tür. Weil ihr Knöchel verletzt war, ging
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