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Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Titel: Wo die toten Kinder leben (German Edition)
Autoren: Roxann Hill
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entgegenstemmte, konnte ich mich nicht auf den Beinen halten und wurde nach hinten umgeworfen, als er gegen mich prallte.
Er stand halb über mir. Ich war ihm ausgeliefert. Schutzlos.
Er beugte sich zu mir herab. Seine große Schnauze kam immer näher. Und dann leckte er mir über das Gesicht.
Das war sein Fehler!
Ich packte ihn am Hals und drückte ihn zur Seite weg. Wir rollten über den Boden, er versuchte sich loszureißen, aber ich hielt ihn eisern fest.
Er gab einen zufriedenen Laut von sich. Ich hatte es wieder einmal geschafft.
„Mozart“, sagte ich, „schäm dich!“
Der Hund hechelte und sein langer Schwanz klopfte bestätigend auf den nassen Sand.
„Du sollst mich nicht in Grund und Boden rennen, sondern auf mich aufpassen!“
Er grunzte und schlug mit der Vorderpfote gegen meinen Oberkörper.
„Wo warst du überhaupt? Hast du wieder Hasen verfolgt?“
Direkt hinter den Dünen erstreckte sich ein ehemaliges Militärgelände aus dem zweiten Weltkrieg. Die unterirdischen Gänge hatte man längst zugeschüttet, aber es blieb unbebaubar. Im Laufe der Jahre hatte es sich zu einem Biotop entwickelt, in dem wilder Knoblauch, zarte Dünengräser und Disteln wuchsen. Und dort lebten Hasen – sehr zur Freude von Mozart.
Ich stand auf und klopfte mir den Sand ab. Mozart streckte sich und kam ebenfalls auf die Beine. Erwartungsvoll sah er mich an.
„Fuß“, befahl ich ihm.
Er gehorchte sofort und blieb dicht neben mir. Die Zeit für Spiele war vorbei. Er musste seine Pflicht erfüllen. Er musste das tun, wofür ihn Asmodeo angeschafft hatte.
Er musste mich beschützen.
Und ich brauchte Schutz.
Asmodeo war nicht da gewesen, als mich Mitglieder der Studentenverbindung Fraternitas Cornicis (der Bruderschaft des Raben) verschleppt hatten. Sie hatten mich in eine Burg gebracht, in der sie eine Forschungsanlage betrieben. Dort hatte mich ihr Chef, Professor Brunner, stundenlang gefoltert. Er war überzeugt davon gewesen, dass auch ich eine Dämonin war und er hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er mich qualvoll sterben lassen würde.
Asmodeo hatte mich gerettet. Im letzten Moment. Meine Peiniger waren tot. Aber wir konnten nicht sicher sein, dass es nicht andere gab, die das gleiche Ziel hatten, wie Brunner und seine Leute. Das Ziel, mich zu ermorden.
Deswegen waren wir auf die Île de Noirmoutier geflüchtet, wo uns niemand kannte. Und deshalb hatte mir Asmodeo einen ausgebildeten Schutzhund beschafft, der mich nie aus den Augen lassen sollte.
Mozart war ein Rhodesian Ridgeback. Ursprünglich war seine Rasse für die Löwenjagd in Südafrika gezüchtet worden. Er war treu und hundertprozentig zuverlässig.
Mozart hieß eigentlich nicht Mozart. Er hieß Mhondowasi Hunter of Kalahari Desert. Aber ich hatte ihn spontan umgetauft, nachdem er zwei Tage nach seiner Ankunft meine Großpackung Mozartkugeln auf der Terrasse gefunden und den gesamten Inhalt verdrückt hatte (das Stanniolpapier hatte er übrigens liegen lassen).
Und so wurde aus Mhondowasi eben Mozart. Das klang auch viel netter. Wer wollte schon Mhondowasi heißen…
Die Strecke zurück blieb Mozart an meiner Seite, während er die Umgebung wachsam im Auge behielt. Dann kam die Mole. Wir überquerten die Düne auf großen Granitquadern. Gelbe Ginsterbüsche säumten duftend den Weg.
Direkt nach der Düne sah ich die ersten Bungalows mit ihren weißen Mauern und roten Ziegeldächern. Die Fenster wurden von bodenlangen Läden umrahmt, die mal blau, mal grün oder braun gestrichen waren.
Ich gelangte auf eine Privatstraße. Mit Sommerblumen bepflanzte Betonkübel sorgten dafür, dass die wenigen Autos der Anlieger nur in Schrittgeschwindigkeit fahren konnten.
Ich brauchte nicht mehr lange, bis ich in unsere Einfahrt einbog.
Das Haus, das Asmodeo gekauft hatte, lag halb am Hang und hatte ein wunderschönes Außenplateau mit Aussicht auf das Meer. Ich konnte es gar nicht erwarten, heimzukommen.
Auf der Terrasse saß ein schwarzhaariger junger Mann und arbeitete konzentriert an einer großen Staffelei. Zu seinen Füßen lag Laurent, eine altersschwache Katze, die Asmodeo, ohne es zu wissen, mit dem Haus zusammen erworben hatte. Ihr Name war schon leicht seltsam, denn sie war eindeutig kein Kater, aber so hieß sie nun mal, hatte uns der Immobilienmakler erklärt. Er hatte sich angeboten, die Katze zum Einschläfern zu bringen, aber ich hatte empört abgelehnt. Sie störte uns wirklich nicht weiter. Sie lebte meist ihr eigenes Leben.
Der dunkelhaarige Mann
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