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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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genau hinzuhören, was das Wort wohl bedeuten möge.
    Und schon bald sollte ihm ein Licht aufgehen. Eine Dekade, zu diesem Schluss kam er, muss zehn Jahre umfassen. Denn Herr Wegemann erzählte erst etwas von der Grundsteinlegung aus dem Jahre 1856, dann zitierte er aus einer Rede des Schulleiters von 1867, bevor er aus einem schmeichlerischen Schreiben eines Lokalpolitikers über die Erfolge der Schule aus dem Jahre 1878 vorlas. In den ungefähren Intervallen von zehn Jahren ging es weiter. Bald konnte es für Manfred keine Zweifel mehr geben, was es mit dem Wort Dekade auf sich hatte.
    Sodann kam etwas aus dem Jahre 1915. Da war doch der erste Weltkrieg, fiel Manfred ein. Aber das meinte der Schulleiter gar nicht. Sondern, dass es der beste Abschlussjahrgang in der Schulgeschichte war. Wie viele von denen wohl – die mussten ja anschließend alle an die Front – den Krieg überlebt hatten, dachte Manfred. Hierbei trafen sich seine Blicke mit denen von Ilona.
    Jetzt machte der Schulleiter einen Sprung bis zum Jahr 1928. Na ja, das kommt wirklich hin mit der Dekade, stellte Manfred erneut fest. Da war ein besonders harter Winter, in welchem die Oberschüler eifrig Brennholz sammelten und den Frierenden halfen. Toll, fand der Schulleiter. Fand Manfred auch.
    Das Folgende sollte Manfred dann verwirren. Die nächste Anekdote, von der der Schulleiter erzählte, spielte im Jahr 1955. Der Abstand zum vorherigen Ereignis betrug also, rechnete Manfred nach, 27 Jahre. Heißt Dekade vielleicht doch was anderes als Jahrzehnt?
    Oder gab es einen anderen Grund, warum der Leiter des humanistischen Gymnasiums, so nannte sich dessen rühmliche Lehranstalt, nichts aus den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu vermelden hatte?
     
    *
     
    Lange hatte Manfred den Tanzenden nicht zuschauen können, denn schon bald wechselten die ersten Anwesenden in die Gaststube; wer eine Theke mochte oder sich der lauten Musik entziehen wollte, suchte die Schänke auf. Manfred zapfte fleißig Bier und schenkte nicht minder häufig Korn aus; die Lehrer tranken gern schottischen Whiskey mit Eisstückchen oder Sodawasser. Bald kam ihm Peter zur Hilfe, auch ein Lehrling, aber erst im ersten Lehrjahr. Manfred war der Chef hinter der Theke, eine Rolle, von der er nicht wusste, ob er sie mögen sollte oder nicht.
    Die Frage der Dekade ließ Manfred keine Ruhe. Und da sich die Arbeit hinter der Theke bald eingespielt hatte, fand er Zeit, der Sache nachzugehen. Im Raum, der von der Theke nach hinten abging, befanden sich in der Küche, gut versteckt, einige Bücher, darunter auch ein Lexikon. Immer wenn es die Zeit erlaubte, ging Manfred in den Hinterraum und las ein paar Zeilen, immer das, was ihn gerade beschäftigte. So schaute er jetzt im Lexikon unter dem Buchstaben D und war sogleich darüber informiert, dass der Begriff der Dekade tatsächlich genau den Zeitraum von zehn Jahren umfasste. Noch einmal fragte sich Manfred, warum Adolf Wegemann nach seiner Anekdote aus dem Jahr 1928 erst wieder etwas von 1955 erzählte. Vielleicht hatte sich Herr Wegemann ja daran erinnert, dass er sich kurzfassen wollte.
    Richtig zufrieden machte ihn diese selbst gegebene Antwort nicht. Grübelnd verrichtete er seinen Dienst.
     
    *
     
    „Eine Runde für alle!“
    Werner hatte gerufen. Der Ausruf war ihm nicht schwergefallen. Allzu teuer würde ihn die Runde nicht kommen, denn einige Gäste hatten schon bei der vorigen Bestellung ihr letztes Getränk angekündigt. Es bestand Hoffnung, dass der ein oder andere das Angebot nicht annehmen würde.
    „Scheibs auf meinen Deckel“, wiederholte sich Werner. Die Aufforderung galt Manfred.
    Werner war in prächtiger Laune. Das konnte unangenehm werden.
    „Oder sollte das lieber Peter machen?“, schob er nach. Er lachte laut.
    „Werner!“, beschwerte sich Ilona.
    Werner rückte zu seiner Freundin, nahm sie in den Arm. Dabei schaute er in ihren Ausschnitt, der Alkohol tat seine Wirkung.
    „Das ist doch nicht schlimm, wenn man beim Schreiben bei jedem Wort ein Fehler macht, Ilona. Manfred ist doch ein waches Bürschchen. Sagst du doch selbst immer.“ Werner hatte mehr geschrien als gesprochen.
    Einige Sekunden war es mucksmäuschenstill in der Gaststube. Dann setzte langsam das allgemeine Gemurmel wieder ein; die Betriebsamkeit schien ohne besondere Vorkommnisse weiter zu gehen.
    „Werner “, rief Manfred irgendwann, „ich habe bei dir jetzt dreizehn Bierchen stehen. Bei fünfzehn kriegst du eins
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