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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition)
Autoren: John Irving
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inzwischen sehr teuer«, wagte Eddie zu sagen. Er brachte es nicht übers Herz, ihr die genaue Summe zu nennen, die Ruth dafür haben wollte.
    Wie immer fand er, daß Marion wunderschön angezogen war. Sie trug einen langen, anthrazitfarbenen Rock und einen Kaschmirpullover mit rundem Ausschnitt in einem hellen Salamanderorange, einer fast tropischen Pastellfarbe, die Eddie an die rosafarbene Kaschmirjacke erinnerte, die sie getragen hatte, als er sie das erste Mal sah – jene Jacke, von der er wie besessen war, bis seine Mutter sie der Frau irgendeines Lehrers schenkte.
    »Wieviel soll es denn kosten?« wollte Marion wissen.
    Als Eddie es ihr sagte, seufzte sie. Sie war zu lange fort gewesen; sie hatte keine Ahnung, welchen Aufschwung der Immobilienmarkt in den Hamptons genommen hatte. »Ich habe mit meinen Büchern ganz ordentlich Geld gemacht«, sagte Marion. »Mehr, als ich im Grunde verdient habe, wenn man bedenkt, was ich geschrieben habe. Aber so viel nun auch wieder nicht.«
    »Ich habe mit meinen Büchern überhaupt nicht viel Geld verdient«, gestand Eddie, »aber ich kann dieses Haus jederzeit verkaufen.« Marion hatte höflich darauf geachtet, ihre schäbige Umgebung nicht genauer in Augenschein zu nehmen. (Maple Lane war nun einmal Maple Lane, und die Tatsache, daß das Haus jahrelang in den Sommermonaten vermietet worden war, hatte natürlich auch ihren Tribut gefordert und deutliche Spuren hinterlassen.)
    Marion hatte ihre langen, noch immer schönen Beine übereinandergeschlagen; sie saß fast etwas geziert auf der Couch. Ihr hübscher Schal, perlgrau wie eine Auster, hing genau zwischen ihren Brüsten, die, wie Eddie feststellen konnte, unverändert wohlgeformt waren. (Vielleicht lag es auch an ihrem BH .)
    Eddie holte tief Luft, bevor er mit dem herausplatzte, was er auf dem Herzen hatte. »Was hältst du davon, wenn wir Ruths Haus gemeinsam erstehen, halbe-halbe? Also eigentlich«, fügte er rasch hinzu, »wenn du es dir leisten kannst, zwei Drittel zu übernehmen, wäre ein Drittel für mich wohl realistischer als die Hälfte.«
    »Ich kann mir zwei Drittel leisten«, sagte Marion. »Außerdem werde ich vor dir sterben, Eddie. Früher oder später werde ich dir meine zwei Drittel hinterlassen!«
    »Du bist doch nicht etwa sterbenskrank, oder?« fragte Eddie, der bei dem Gedanken, Marions bevorstehendes Ende könnte sie veranlaßt haben, zu ihm zurückzukehren, um sich zu verabschieden, in Panik geriet.
    »Meine Güte, nein! Es geht mir gut. Zumindest wüßte ich nicht, daß ich an etwas anderem sterben werde als an Altersschwäche …«
    Das war das unvermeidliche Gespräch, das Eddie längst vorweggenommen hatte. Er hatte diesen Dialog so viele Male niedergeschrieben, daß er ihn auswendig konnte. Und Marion hatte alle seine Bücher gelesen; sie wußte, was der treuergebene junge Mann in sämtlichen Romanen von Eddie O’Hare zu der älteren Frau sagt. Es waren immer die gleichen beruhigenden Worte.
    »Du bist nicht alt, jedenfalls nicht in meinen Augen«, begann Eddie. All die Jahre – und fünf Bücher! – hindurch hatte er diesen Augenblick geprobt. Und doch war er beklommen.
    »Du wirst dich um mich kümmern müssen, vielleicht eher, als du denkst«, warnte ihn Marion.
    Aber Eddie hatte siebenunddreißig Jahre lang gehofft, daß Marion ihm erlauben würde, sich um sie zu kümmern. Wenn er erstaunt war, dann nur darüber, daß er beim allerersten Mal recht gehabt hatte – recht gehabt damit, Marion zu lieben. Jetzt brauchte er nur darauf zu vertrauen, daß sie zu ihm zurückgekehrt war, sobald sie konnte. Daß es siebenunddreißig Jahre lang gedauert hatte, spielte keine Rolle. Vielleicht hatte sie so lange gebraucht, um ihre Trauer um Thomas und Timothy zu bewältigen – und mit all den Gespenstern fertig zu werden, die Ted ohne Zweifel nur heraufbeschworen hatte, damit sie sie verfolgten.
    Hier war eine Frau, die getreu ihrem Wesen Eddie ihr ganzes Leben mitgebracht hatte, auf daß er damit ringen und es lieben möge. Niemand sonst wäre dazu so gut in der Lage gewesen. Denn der dreiundfünfzigjährige Autor hatte sie all die Jahre geliebt, im Leben wie in seinen Büchern.
    Man darf es Marion nicht verübeln, daß sie Eddie von den vielen Tageszeiten und Örtlichkeiten erzählte, die sie mied. Zum Beispiel die Zeit, wenn die Kinder aus der Schule kamen, die Museen und den Zoo. Außerdem die Parks bei jedem halbwegs anständigen Wetter, denn dann wurden sie unweigerlich von Kindern und
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