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Wir zwei allein - Roman

Wir zwei allein - Roman

Titel: Wir zwei allein - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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amüsiert. Aber es ändert nichts an dieser Verkabelung, verstehst du. Diese Verkabelung, Theres. Eine strukturelle Kopplung sozusagen. Zwei Menschen, in ihrer ganzen Freiheit, und trotzdem zueinander ausgerichtet. Das ist viel größer als alles. Das ist umfassender. Es ist immer um uns. Alles andere ist Szene, das aber ist Szenerie. Und dann muss ich wieder lachen. Ich verspreche es, sage ich.
    Theres steht auf, geht um den Tisch, beugt sich zu mir herunter. Umarmt mich.
    Wir könnten es Chloë nennen, wenn es ein Mädchen wird, sagt sie in mein Ohr.
    Und wenn es ein Junge wird, sage ich, nennen wir ihn Kolossos.

    18    Wir brauchen einen dritten Menschen, Theres. Einen, bei dem alles anfängt. Der uns Fragen stellt, in dem unumstößlichen Glauben, wir wüssten alles. Er wird uns die Gegenstände zurückerstatten, die wir bereits aufgegeben haben. Weil wir immer nur ihre Vorderseite sehen konnten. Er wird uns einen Weg um sie herum zeigen. Es ist ein schmaler Pfad, aber ist man erst einmal um den ersten Vorsprung gebogen, dann wird er breiter, und das Klima verändert sich, es wird warm und feucht, und neue Vogelarten leben in den Baumkronen, und es gibt smaragdgrüne Eidechsen, die die menschliche Sprache sprechen und die etwas über die Evolution wissen, was wir nicht wussten. Ach, wie ich mich freu. So schrecklich, herzzerreißend freue ich mich.

Das schöne Wieden

1    Schneeberge an den Straßenrändern. Die Pfosten der Weidenzäune schauen durch eine weiße Decke. Im Wald eine Bauarbeiterhütte unter Daunen, die Tannen in weißen Mänteln. Eine Landschaft wie aus einem russischen Horrormärchen. Vlad Tepeş, Woiwode der Walachei, genannt der Pfähler, lebt in diesen engen Tälern, in die im Winter kein Mensch kommt. Der Sprinter schlittert über den Pass am Wiedener Eck. Die Heizung rattert und stinkt, der Kragen meines Pullovers kratzt. Zu meiner Linken geht es tief ins Tal hinab, wo ameisengroße Höfe zufällig verteilt in der Landschaft liegen. Ein Lastwagen der Spedition Mruck kommt mir entgegen, ich halte in einer Bucht und lasse ihn passieren. Der Fahrer hebt die Hand. Die Dächer der Häuser am Neuhof reichen bis zum Boden. Klafter Holz vor der Tür.
    Im Ural werde ich zunächst ein Loch graben und eine Plane drüberspannen. Ich werde Äste beiseiteräumen. Ich werde die Rinde von den Kiefern schaben und sie in ein Feuerchen werfen, das wird der heilige Geruch meiner Höhle sein. Ich werde Schnüre spannen und Dosen aufhängen, damit mir der Wind Musikunterricht gibt und die Stürme vorher anrufen. Ich werde das Flöten der Polaramsel imitieren und lange Gespräche führen über die innere Unruhe der Vögel, wenn der Herbst an den Zweigen erste Nachrichten hinterlässt. Ich werde meine Arme mit Erde einreiben, damit mich der Zobel nicht riecht, wenn ich ihm auf den Fersen bin. Ich werde mich verstecken, wenn ich menschliche Stimmen höre. Werde mich nur an die Siedlungen heranpirschen, wenn ich vergessen habe, woher ich gekommen bin. Und um den Geruch nach Pferd und Stall im Gedächtnis aufzufrischen. Und um ein Huhn zu stehlen, aus dessen Federn ich Figuren mache, die ich nachts vor die Türen der Häuser stelle. Ich werde durch das Unterholz gehen und mir das Brechen der Äste anhören und werde lernen, wie ich klinge, wenn ich durch den Wald wandere, renne, schleiche. Ich werde Zedernnadeln verbrennen und dabei Gebete erfinden oder Segnungen, oder ich werde Träume zwischen die Baumstämme flüstern. Der Wald merkt sie sich, und in den Nächten bringt er sie mir zurück. Ich werde mit dem Kopf zucken wie ein Vogel, wenn ich ein unnatürliches Geräusch im Unterholz gehört habe.

    2    Theres schläft noch. Ich bin alleine in die Küche hinabgestiegen. Über Nacht ist noch ein Meter Schnee gefallen. An den Fenstern Frostlandkarten. Gestern war ich in der Stadt, dort hängen schon leuchtende Ringe und Sterne an den Fassaden. Ich trete in den Hof. Scharfe Luft, die mir den Atem aus dem Mund stiehlt. Es riecht nach Rauch. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich eine Schneise zum Tor freigeschaufelt habe und die Schneeschaufel über Kies kratzt. Ich gehe zurück ins Haus, ziehe eine Jacke an. Ein piependes Monstrum kriecht am Zaun vorbei, hinab ins Tal. Es hinterlässt Schneeberge am Straßenrand und schwarze Spuren auf der Fahrbahn, in die ich trete. Ein Hof. Der nächste. Kein Mensch zu sehen. Die Kirchenglocke schlägt ein einziges Mal, dann wieder die Stille. Aus den Kaminen der Höfe am
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