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Wir zwei allein - Roman

Wir zwei allein - Roman

Titel: Wir zwei allein - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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Kneipe vorbei und durch den Eschholzpark, und schon ist man bei Theres. In dem Holzschuppen im Hinterhof, den Theres als Werkstatt nutzt, brennt Licht. Ich stelle die Kiste auf die Treppe und trete in den Hof, spähe durch die Scheibe. Theres sitzt auf dem Boden, sie hat eine Decke um die Schultern gelegt und hält die Augen geschlossen. Und ich kann mich plötzlich nicht rühren. Ihr Gesicht ist auf eine ganz andere Art schön, wenn sie sich von seiner Oberfläche zurückgezogen hat. Dass sie dort in der Tiefe noch irgendwo ist und schöne Dinge erlebt, davon zeugt nur eine sanfte Spannung um Stirn und Mundwinkel. Das Brummen der Stadt, ein Nieselregen setzt ein, aber ich traue mich nicht, an die Scheibe zu klopfen. Ich will schon gehen, da öffnet sie die Augen und sieht mich an. Der Atem bleibt mir weg. In diesem Moment sehe ich ein Leben mit Theres, im Elztal oder im Glottertal, auf einem Bauernhof, ein ganzes Leben. Sie lächelt, drückt sich hoch.
    Ich habe versucht, mich an eine Geschichte zu erinnern, sagt sie in der Tür.
    Ich trete ein. Der Geruch von Herbstwiese, um mich herum die vielen Leinwände, kaum größer als Postkarten. Es sind Miniaturen, die Theres malt. Jedes Bild ist voll von winzigen Figuren, sie leben in einer Welt aus knallgelben Dreiecken, roten Quadraten, blauen Trapezen. Auf einem Tisch stehen plastische Stücke. Ein Maschinenpark, kein Exemplar größer als ein Daumen. Eine Schaufel mit einem Giraffenkopf aus Zinn. Nach Betätigung einer Drahtkurbel schöpft sie Wasser aus einem Schälchen. Das Wasser läuft über einen Schlauch in die Mundöffnung eines Insektenkopfes aus gelbem Kunststoff, der auf eine Waage montiert ist. Der gelbe Kopf sinkt, löst eine Halterung, die eine umgebaute Star-Wars-Figur arretiert. Diese rollt gegen einen Schalter, der die Waage zurück in die Schräge schiebt. Warum ist das alles so klein?, habe ich Theres bei meinem ersten Besuch gefragt. Ich weiß nicht, sagte sie. Früher war alles groß wie eine Zimmerwand, aber es wurde immer kleiner mit der Zeit. Bald brauche ich ein Mikroskop. Und irgendwann wird es dann ganz verschwunden sein. Sie lachte.
    Ich habe Blumenkohl und Kürbis dabei, sage ich jetzt.
    Danke, sagt Theres. Das ist so nett von dir.
    Aber Theres. Das ist doch selbstverständlich.
    Danke trotzdem.
    Ich blicke mich um. Theres, sage ich. Du musst das alles mal jemandem zeigen.
    Ich weiß nicht, sagt sie.
    Aber die Leute würden es bestimmt gerne kaufen.
    Theres blickt zu Boden, sie fährt mit der Hand an der Kante ihrer Arbeitsplatte entlang. Ich will lieber nicht, sagt sie.
    Wir stehen ein bisschen herum, sie lacht, dann schweigen wir. Der Geruch von Lackfarbe. Der Geruch von Herbarium. Der Geruch von Kamillentee.
    Ich muss dann mal weiter, sage ich und bleibe noch ein bisschen stehen.
    Theres lächelt. Okay, sagt sie.
    Ich trete in den Nieselregen hinaus.

    5    Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen. Da fiel bei Rudi das Licht aus. Wir standen beide am selben Fenster und warteten, ob die Laternen wieder angehen würden. Vielleicht sind die Fernseher ja nicht betroffen, sagte sie. Kommt vermutlich auf den Stadtteil an, sagte ich. Theres, sagte sie und gab mir die Hand. Eine schlanke, warme Hand, die sich sofort wieder aus meiner löste. Eine flüchtige Hand. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, sagte sie. Worüber? Über eine alte Frau. Sie hat bestimmt Angst. Sie sieht fast nichts mehr, aber wenn auch noch der Ton ausfällt… In diesem Moment gingen die Lichter wieder an, die Studenten hinten johlten, die Musik setzte ein. Das war ja nur kurz, sagte ich. Und ich sah zum ersten Mal, wie es ist, wenn sie vor Freude erstrahlt. Wie die tropfenden Bäume, die in der plötzlich durchbrechenden Sonne aufglitzern. Wie der blaue Himmel, der sich auf einmal wieder in den Pfützen spiegelt. Ja, das war nur kurz, sagte sie. Und dann war sie schon in Bewegung. Und ich stand da und sah zu, wie sie sich an das Katzentischchen hinter dem Aquarium setzte und klein und schmal wurde. Eigentlich mit der Einrichtung von Rudis Kneipe verschmolz. Ich hatte das Tischchen nie zuvor bemerkt. Drei Monate ist das jetzt her.

    6    Theres. Wir könnten uns als Wissenschaftler ausgeben, die den Mechanismus der Städte erforschen. Wir würden alles umsonst bekommen. In jedem Hotel würden wir das schönste Zimmer haben. Tarifa, Marseille, Târgu Mureş, Odessa. Ein Herzlich Willkommen wäre uns stets sicher. Du würdest dich Dr. Ekatherina Ivanowna nennen, ich wäre
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