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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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Positionen, die viele T V-Zuschauer von Muslimen erwarten. Bei vielen Jugendlichen kommt das trotzdem gut an. Nach dem Motto: Endlich traut sich mal einer was! Da es – wie gesagt – zu wenig moderate Gegenstimmen und Bildungsangebote auf Deutsch gibt, sehen auch immer mehr muslimische Jugendliche den
Salafismus
als den »reinen« und »wahren« Islam an.
     
    |196| Auch nach dem Tod von Usama Bin Laden entsprach Pierre Vogel ganz den Erwartungen: Er rief zum öffentlichen Totengebet in die Frankfurter Innenstadt auf. Es wurde von der Stadt verboten, er durfte dann aber eine Veranstaltung machen zum Thema Islam und Terrorismus, allerdings am Stadtrand. Immerhin 400   Muslime kamen. In der Arabischen Welt – vor allem den Ländern, in denen sich der Arabische Frühling bemerkbar macht – war der Tod des Terrorchefs zunächst eher eine Randnotiz. Es gab dann Empörung darüber, dass seine Leiche ins Meer geworfen wurde, obwohl Seebestattung in der islamischen Welt unüblich ist. Doch diese Diskussion war nichts im Vergleich mit dem Sturm, der auf deutschsprachigen Webseiten entbrannte. »Die Welle der Sympathiekundgebungen auf Facebook hat mich schier in den Wahnsinn getrieben«, schreibt Ahmed Abdelrahman, der sich selbst als
Salafist
bezeichnet, aber eher dem Reformflügel zuzuordnen ist und dieser Entwicklung sehr kritisch gegenüber steht, über Facebook. Er hofft auf Erneuerung aus der Arabischen Welt: »Ich sehe eine absolute Stagnation der überwiegenden muslimischen Jugend – die einen verlieren sich in Assimilation, die anderen werden insbesondere durch Brandstifter wie Vogel bewusst von dieser Gesellschaft entfremdet. Die gegenwärtige Radikalisierungswelle ist insbesondere über das Internet zu beobachten. Ich sehe nur eine Minderheit der jungen Muslime gegenwärtig als sowohl religiös als auch reformorientiert an, sodass sie dieser Gesellschaft nutzen und Impulse für ein Zusammenleben setzen könnten. Ich glaube deswegen, dass die geistige Weiterentwicklung der Muslime von der Jugend der islamischen Länder ausgehen muss. In Deutschland sehe ich überwiegend Rückschritte und Denkblockaden.«
     
    Die
salafistische
Szene hat eine eigene Dynamik in Deutschland und ist eher als deutsche Jugendbewegung denn als |197| Strömung zu verstehen, die an Entwicklungen in der Islamischen Welt orientiert ist; sieht man einmal von der Unterstützung durch Stiftungen in Saudi Arabien und gelegentlichen Sprachschülern in Ägypten ab. Die Umbrüche in der Arabischen Welt wurden bisher ignoriert. Mit gutem Grund: Sie stellen viele der Grundannahmen der deutschen
Salafisten
in Frage.
    Toleranz ist sozusagen das Gegenkonzept zu einer Bewegung, die sich abschottet von einer als »ungläubig« angesehenen Gesellschaft und viel Zeit damit verbringt, darüber zu diskutieren, welche Muslime als Gläubige und welche als Ungläubige anzusehen sind. Die Ereignisse des Arabischen Frühlings, dass es gelungen ist, die Diktatoren friedlich zu stürzen, haben die Theorien von Bin Laden und Co wiederlegt. Nur ein sehr kleiner Teil der
salafistischen
Bewegung in Deutschland unterstützt den bewaffneten
Dschihad
und verschickt Fanatiker und Abenteuerlustige in Trainingslager der
Al Kaida
. Sie werden zunehmend an Existenzberechtigung verlieren.
     
    Das Allerschlimmste aber, was den
salafistischen
Predigern passieren kann, wäre eine tatsächliche Verbesserung des Images muslimischer Jugendlicher in Deutschland. Wenn sie nicht mehr als Sicherheitsrisiko und Schulproblem gesehen werden, sondern als ganz normale Bürger anderen Glaubens, dann wären die
Salafisten
wohl bald ihre Anhänger los. Der
Salafismus
setzt am Minderwertigkeitsgefühl, am Gefühl der Diskriminierung und der Wut darüber an und führt die Jugendlichen aus der Gesellschaft heraus.
     
    Obwohl viele Prediger in Deutschland bisher den Blick auf die Ereignisse auf der anderen Seite des Mittelmeeres vermeiden, machen sich auch bei den
Salafisten
bereits erste Auswirkungen bemerkbar. »Im Winter, als ich in meinen |198| Predigten die Leute aufgefordert habe, für die Revolution in Tunesien zu beten und zu den Demos hier in Berlin zu kommen, da kamen hinterher immer einige
Salafisten
zu mir und sagten, dass solche Aufforderungen doch gegen den Islam verstießen. Das hat sich geändert. Viele
Salafisten
kommen mit zum Demonstrieren und diese Öffnung zur Welt und damit in die Gesellschaft hinein wird ihnen gut tun«, erzählt Scheich Taha.
     
    Die Frau mit dem rosa
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