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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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gleichen Wochenende brennen in Embaba die Kirchen und wieder werden
Salafisten
verantwortlich gemacht. Besonders großes Aufsehen erregt der Aufruf eines
salafistischen
Predigers, alle Frauen, die kein Kopftuch tragen, mit Säure anzugreifen. Mehrere Talkshows greifen das Thema auf und |181| in Kairo sprechen die Menschen tagelang von wenig anderem. Schulen bleiben geschlossen und viele Frauen lieber gleich ganz zu Hause. Dabei handelt es sich bloß um ein Gerücht. Es hat keinen solchen Aufruf gegeben und die großen
salafistischen
Gruppen distanzieren sich von dem Vorwurf. Dennoch wirkt die Drohung. Dies belegt, dass die Menschen den
Salafisten
alles zutrauen, und es zeigt vor allem, wie wirksam Gerüchte sind. Ständig gibt es neue und die Vermutung liegt nahe, dass sie gezielt gestreut wurden, um das Land zu lähmen. Solange die Menschen im Bann der
Salafisten
stehen – sei es, dass sie sich aufhetzen lassen oder weil ihnen die Langbärte Angst machen   –, können sie sich nicht um den Aufbau des Landes kümmern, und solange Kirchen brennen, bleiben die Touristen fern. Es taucht der Verdacht auf, dass die
Salafisten
im Dienst des alten Systems stehen. Andere sehen saudische Geschäftsleute als Auftraggeber der
Salafisten
, die verhindern wollten, dass Ägypten eine Demokratie werde. Möglicherweise spielen solche Verbindungen eine Rolle. Allerdings machen es sich die Menschen auch sehr einfach: Wenn die
Salafisten
hinter der Gewalt stehen, braucht sich die restliche Gesellschaft keine weiteren Gedanken über die Ursachen für den Hass auf Christen zu machen. Wenn diese dann auch noch bezahlt werden, dann sind sie ja noch nicht einmal die Spitze eines Eisberges, unter der sich ein größeres Problem verbirgt. Dann hat die Gewalt nicht mit angestautem und anerzogenem Misstrauen gegen Andersgläubige zu tun. Auch dies ist ein Grund, weshalb die
Salafisten
ein beliebtes Thema sind.
    Die
Salafisten
sind wohl die islamische Strömung, welche am stärksten von der Revolution verändert wurde: In den ersten Tagen der Demonstrationen erklären
salafistische
Imame den Aufstand gegen die Regierung noch als unzulässig. Dahinter steht die Warnung des Gelehrten Ibn Tayymiyya vor den Gefahren der Anarchie: Sechzig Jahre mit einem |182| ungerechten Herrscher seien einem einzigen Tag ohne Regierung vorzuziehen. Am Freitag der Wut gehen die
Salafisten
zwar wie gewohnt zum Gebet, viele Imame sperren jedoch anschließend die Türen zu und es werden auch keine Demonstranten eingelassen, die Schutz vor dem Tränengas suchen. Erst als am Abend die Polizei von den Straßen verschwindet, sind die
Salafisten
wieder da. Sie engagieren sich besonders bei den Bürgerwehren in den Armenvierteln. Sie sind da, wo die Masse der Ägypter ist und Angst hat.
    In Alexandria, im geistigen Zentrum der
Salafisten
, tagen die Scheichs. Drei Konferenzen soll es gegeben haben und Schritt für Schritt revidieren sie ihre Haltung. Zwar sei die Auflehnung gegen einen Herrscher nach wie vor tabu, allerdings gelte dies nur für einen Aufstand mit Waffengewalt. An friedlichen Protesten könne man sich durchaus beteiligen; insbesondere wenn es nicht Proteste einer bestimmten Gruppierung, sondern des Volkes seien.
    Mohammed Hassan, der bekannteste der
salafistischen
Prediger, meldet sich schließlich am 3.   Februar, dem
Donnerstag der Düsternis,
zu Wort. Er entschuldigt sich bei seinen Anhängern, dass er sie so lange allein gelassen habe: »Wir hatten kein Internet«, so seine offensichtliche Ausrede. Er spricht wenig über die Demonstranten, erwähnt nur, dass sie ehrwürdig wären. Er wendet sich vielmehr an die Plünderer und jene, die aus den Gefängnissen freigelassen wurden. Er fordert sie auf, Gottes Wort zu folgen und öffentliches sowie privates Eigentum zu respektieren. »Wessen Sicherheit setzt ihr hier aufs Spiel? Die eurer Eltern und Kinder. Fürchtet Gott, den allmächtigen und majestätischen. Und denkt daran, wer hier auf der Erde korrupt ist und sich Verbrechen schuldig macht, den wird die Finsternis am Jüngsten Tag erwarten. Also vergeltet nicht Unrecht mit anderem Unrecht.« In den Augen vieler seiner Anhänger tut er damit genau das Richtige: Er versteht ihre Angst und bemüht sich, die Gefahr |183| zu bannen. Er punktet damit bei der ganz normalen Bevölkerung, die in diesen Tagen nicht auf dem Tahrir ist, sondern voller Angst zu Hause sitzt.
    Die
Salafisten
schneiden mit Abstand am schlechtesten ab, als nach dem Sturz Mubaraks die
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