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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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Aufrechnung beginnt, wer ab wann bei den Protesten dabei war. Die
Muslimbruderschaft
und die
Gamaat al Islamia
verbreiten die Sichtweise, dass sie ihre anfängliche Zögerlichkeit am Mittwoch des Kamels wieder gutgemacht haben. Ohne ihren Einsatz wäre die Revolution an diesem Tag zu Ende gewesen und deswegen seien sie die eigentlichen Sieger über Mubarak. Die Absicht hinter dieser Darstellung ist klar: Sie wollen den Linken und Liberalen nicht die Lorbeeren überlassen. Auch macht sich hier das Gerangel unter den islamischen Kräften bemerkbar. Die
Salafisten
können nicht mithalten, dafür haben sie sich aber ihren Platz bei den Menschen in den Armenvierteln gesichert. Bei denen, die auch nicht mitdemonstriert haben und auch nach der Revolution womöglich noch Sympathien für das alte Regime haben. In der Zeit der allgemeinen Angst verfangen die Verschwörungs- und Hetzkampagnen zudem besonders gut. Das zeigt die Geschichte über die Konvertitin Abeer, die angeblich gegen ihren Willen in der Kirche in Embaba festgehalten werde und dringend befreit werden müsste: Die Menschen sind bereit, fast alles zu glauben. In Qena blockieren
Salafisten
wochenlang die zentrale Bahnlinie nach Oberägypten und protestieren so lange, bis die Ernennung des neuen Gouverneurs von Qena zurückgenommen wird. Sie sind nicht diejenigen, welche den Protest gegen ihn beginnen: Ein breites Bündnis fordert seine Absetzung. Erstens, weil man im neuen Ägypten nicht mehr einfach einen Gouverneur von der Regierung vorgesetzt bekommen möchte und zweitens, weil Emad Schahata Mikael als Polizeioffizier des alten Regimes für Folter und Willkür verantwortlich war. Die
Salafisten
drängen sich in die Debatte hinein und |184| plötzlich geht es nur noch darum, dass Emad Schahata Mikael Christ ist.
    Mohammed Hassan, Safwat Hegasy und noch einige andere Prediger schlüpfen in diesen Konflikten in die Rolle der Vermittler: Sie reden den Gläubigen gut zu, beruhigen und glätten die Wellen, die zuvor von Predigern aus ihrem Lager geschlagen wurden. Das festigt ihre Macht.
    Demokratie lehnten die
Salafisten
bisher ab: »Wir haben uns geweigert, uns an den Parlamentswahlen zu beteiligen, weil da ein Gremium gewählt wird, das Gesetze erlassen kann, die nicht schariakonform sind«, sagt der bekannte Gelehrte Abdel Moneim Al Schahat. Nach dem Verständnis vieler
Salafisten
darf nur Gott Gesetze machen, und es ist nicht am Gläubigen, seinen Herrscher oder womöglich Gesetzgeber zu wählen.
    Zum Verfassungsreferendum im März hört sich der Diskurs schon ganz anders an: Wer nicht mit »Ja« stimme, sei ein Feind Gottes, sollen viele der
salafistischen
Imame den Gläubigen in den Moscheen gepredigt haben. Abdel Moneim Al Schahat rechtfertigt diese Parteinahme damit, dass Ägypten gegen den wachsenden Einfluss der Liberalen verteidigt werden müsse. »Demokratie lehnen wir als philosophisches Prinzip ab, aber nicht als Regierungsmechanismus«, erklärt Abdel Moneim Al Schahat den Wandel auch in der Haltung zur Demokratie. Wie erwähnt, wurde die
salafistische
Richtung wegen ihrer Herrschaftshörigkeit und Demokratiefeindlichkeit bisher gefördert. Wenn jetzt ein Teil der Bewegung diese Position aufgibt und sich zumindest teilweise auf den demokratischen Prozess einlässt, dann wird dies womöglich Auswirkungen auf die Akzeptanz von Demokratie in der ganzen islamischen Welt haben.
    Der nächste Schritt folgt Ende Juni: Die »Hizb al Nour   – Partei des Lichts« bekommt die Zulassung als Partei und zwei weitere Parteien sind kurz davor, die notwendige Anzahl von |185| Gründungsmitgliedern zusammenzuhaben. Anders als die
Muslimbrüder
legen die Führer der
salafistischen
Bewegung großen Wert darauf, Partei und Bewegung zu trennen. Anhängern steht es frei, sich einer beliebigen Partei anzuschließen und sie werben um Mitglieder aus anderen Bewegungen.
    Die
al Nour
-Partei veranstaltet Anfang Juli einen großen Parteikongress in Alexandria. Dabei diskutiert die Jugend der Partei Fragen der Staatsform und Wirtschaftsprogramme. Regierungsformen wie in Saudi Arabien oder Afghanistan unter den Taliban, in denen mit speziellen Polizeieinheiten die Einhaltung der islamischen Vorschriften durchgesetzt werden, lehnen die Parteigründer ab. Sie bekennen sich zu Tourismus als Einkommensquelle, es gibt jedoch laute Stimmen, die Verhaltensregeln für Touristen einführen wollen.
    Nabil Abdel Fattah, Spezialist für islamische Bewegungen am
Al Ahram
-Center für
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