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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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wohl die ganze Zeit in allen Elsternestern in dieser Stadt immer neue Elstern geboren?
    Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts.
    Philip! Was soll aus mir werden? Philip! Was soll aus dir werden?
    Du, der du die Antwort auf meine Fragen hattest, du, der du alles wusstest. Du, der wollte, dass die Leute eines Tages erfahren, wer Philip ist.
    Ich habe gehört, dass du im Naturschutzverein angefangen hast. Dass du dort Exkursionen mitmachst. Also richtige Ausflüge. Vogelbeobachtungen morgens am Ormâssjö. Entenzählung. Beringung am Vogelturm. Ordnung und Planung.
    Keine Expeditionen mehr? Keine solchen dummen, wunderbaren Abenteuer? Keine Vierzig-Kilometer-Touren direkt in deinen Wald hinein? Schaffst du das wirklich? Erträgst du wirklich das ganz normale Leben? Ich kann mich daran erinnern, was du einmal gesagt hast: Pfadfinder sind wie Ameisen. Du mochtest noch nie Menschen, die einander zu ähnlich waren. Du mochtest nie vierbeinige Tiere.
    Nur Vögel. Die Freien!
    Immer kamen die Vögel zuerst, Philip!
    Es war der Flieger, der mir das von den Exkursionen erzählt hat. Er kam eines Abends spät nach Hause, und die Autoscheinwerfer seines antiken Mercedes warfen ihr Licht auf ein diskretes Schild auf dem Rasen vor dem Haus: Zu verkaufen – Elisabet Ragnar, Immobi lienvermittlung. Er wollte, dass ich mit hineinkomme. Aber ich sagte Nein. »Philip hat sich inzwischen beruhigt. Er hat angefangen, wieder etwas für die Schule zu tun«, sagte der Flieger. »Wie schön«, sagte ich.
    Später dachte ich an etwas anderes. Was passiert dann, Philip, wenn du dich beruhigst, wer wirst du dann? Du darfst keiner von denen werden, die verwelken, sobald sie erwachsen sind. Kristin hat mir von ihnen erzählt. Versprich mir das, Philip. Versprich mir, dass du nie verwelkst!
    Und ich denke so oft an das, was du über die Farben gesagt hast, die es nicht gibt. Wenn das wirklich so ist, wenn die Welt nur aus Schwarz und Weiß gebaut ist, dann ist alles ein Kampf zwischen Licht und Dunkel. Zwischen dem Hellen und dem Dunklen in dir, Philip. Und in mir. Und in Manny. Das heißt dann Krieg, der Krieg ist in uns selbst, der wirkliche Krieg, der überall auf der Welt stattfindet.
    Erst wenn der Kampf entschieden ist, wenn das Helle gewonnen hat, das Helle in uns, dann kommen die Farben zurück. Dann weicht das Dunkel.
    Und wenn das Helle nicht gewinnt?
    Jetzt sehe ich, wie du um die Ecke der Gravensteinergatan biegst. Ich habe es gewusst. Ich war mir sicher, dass du kommen würdest. Auf dich kann ich mich verlassen, Philip. Das habe ich immer schon gekonnt. Du hast mir das Leben gerettet. Oder hast du es nicht? Ich schaue auf meine Armbanduhr. Es stimmt genau. Du bist präzise wie eine Uhr. Und du machst ein paar schnelle Schritte zur Tankstelle. Bleibst stehen, schaust dich um. Wo sind die anderen, denkst du. Nur ruhig, Philip. Die kommen. Sie sind auf dem Weg.
    Criz kommt später. Ihr phosphorweißes Haar taucht hinter dem Seven auf. Sie hat Ronja bei sich. Als ich das sehe, freue ich mich. Ich möchte, dass alle dabei sind. Criz trottet zielstrebig den Bürgersteig entlang, vielleicht ist es Ronja, die das Tempo angibt, vielleicht bist aber auch du es, Criz, denn ich weiß, dass du stets von Rastlosigkeit getrieben wirst. Du willst irgendwo anders sein. Du willst, dass alles gleichzeitig geschieht.
    Wie schön, dass du kommen kannst. Ich weiß, dass du jetzt viel arbeitest. Ab und zu habe ich auf dich gewartet, habe dein blasses Gesicht in der Kioskluke gesehen. Wann fängt dein Leben an, Criz? Ich weiß, dass du ungeduldig darauf wartest. Ich frage mich, was du dann tun wirst. Arbeiten und Kinder kriegen? Es gibt eine freie Stelle beim Seven. Und bei McDo gibt es fast immer einen Job. Ich weiß, du hast schon davon geredet. Davon, dass es witziger wäre, dort zu arbeiten als in Johnnys altem Kiosk, in dem vor allem alte Kerle ihr Aftonbladet und Lektyr kaufen. Bei McDo, da spielt die Musik. Ich weiß, dass du das so siehst. Ich hoffe nur, du hast auch recht damit, Criz.
    Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich darauf warte, dass es zehn Uhr wird. Und wenn du die Luken geschlossen hast, dann weiß ich, dass es noch eine Weile dauern wird, weil du dich in deinem kleinen Schminkspiegel betrachtest, du legst dein Gesicht zurecht, bevor du den Eisenriegel über der Hintertür verschließt und nach Hause gehst. Dann bin ich manches Mal mit dir gegangen. Den ganzen Weg nach Hause, Criz.
    Jetzt siehst du Philip. Du gehst zu
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