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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld
Autoren: Matthias Sachau
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anderes.«
    »Aber… die muss einiges wert sein, oder?«
    »Wahrscheinlich. Ich habe mich noch nicht genau erkundigt.«
    Ich mache noch ein paar Stichproben. Workin’ von Miles Davis, Saxophone Colossus von Sonny Rollins, Song for My Father von Horace Silver, alles perfekt erhaltene Originalpressungen.
    »Dein Großonkel mochte Jazz… ganz gern, oder?«
    »Oh ja, er war ganz verrückt danach. Wo hab ich nur das Lötzinn? Ah hier…«
    Ich sehe die ganze Kiste durch. Eine Platte nach der anderen. Ich tauche in sie ein, schwebe durch sie hindurch wie durch ein versunkenes Schatzschiff, wühle mich in alle Ebenen bis auf den tiefsten Grund. Rund um mich herum glitzert und glimmert es. Es ist 1958, 1960, 1963, irgendwas um den Dreh, oder alles gleichzeitig. Ich bin in New York. Dizzy Gillespie biegt um die Ecke und zwirbelt sich kichernd den Ziegenbart, John Coltrane fragt Elvin Jones, ob er in seiner Band spielen will, Ray Brown führt Ella Fitzgerald und seinen Bass auf der 52nd Street spazieren, Bill Evans sitzt im Village Vanguard, sein Kopf hängt so tief herunter, dass seine Nase fast die Klaviertasten berührt, und während das gesamte Universum in seinen sparsam gesetzten Tönen mitklingt, sitzen die Leute an der Bar und lachen über gelungene Witze…
    »So, endlich fertig.«
    »Äh, was?«
    »Die Boxen.«
    »Argh!«
    Ich muss zugeben, ich habe im ersten Moment einen Höllenschreck gekriegt. Irgendwie sehen die Hochtöner aus wie riesige asymetrisch angeordnete Augen und die Bass-Hörner in diesem Kontext wie riesige Mäuler.
    »Das ging aber flott.«
    »Ja, zwei Stunden ist nicht schlecht. Letztes Mal habe ich fast drei gebraucht.«
    »Zwei Stunden?«
    Habe ich wirklich zwei Stunden lang Platten angestarrt?
    »Zwei Stunden und sechs Minuten, um genau zu sein. Noch ein Glas Wasser?«
    »Danke, nein.«
    Unglaublich. Zwei Stunden. Mir ist, als wären gerade mal zehn Minuten vergangen. Aber die beiden Boxen-Ungeheuer und der wuchtige Hifi-Altar, den unser neuer Hausgenosse dazwischen errichtet hat, sprechen eindeutig dafür, dass eine Menge Zeit verstrichen sein muss.
    Ich versuche zu verstehen, woraus sich der Altar zusammensetzt, aber es gelingt nicht. Das hier hat nicht mal ansatzweise etwas mit einer Hifi-Anlage, wie ich sie kenne, zu tun.
    »Wofür sind denn die beiden Kisten da unten? Kühlung?«
    »Iwo, das sind die Endverstärker.«
    »Gleich zwei davon?«
    »Für jeden Stereokanal eine. Strikte Kanaltrennung ist eins der obersten Gebote für natürlichen Klang.«
    Er guckt bisschen verkniffen. Das hätte ich anscheinend wissen sollen. Was für ein Nerd. Mein Blick bleibt an einem hochglanzpolierten Edelstahlkästchen mit ein paar wenigen Knöpfen hängen.
    »Und was ist das da?«
    »Ein Power Conditioner.«
    »Aha.«
    »Sorgt für Gleichspannungskompensation und beseitigt niederfrequente Netzstörungen.«
    Gut, lieber keine Fachfragen mehr. Ist mir auch völlig egal. Ich wollte sowieso nur zu einem anderen Thema überleiten.
    »Sag mal, wir könnten doch deine Anlage gleich probehören, oder?«
    Ich halte Bill Evans’ Walter for Debbie in sein Blickfeld. Er zuckt zusammen und starrt mich an.
    »Hab ich was Falsches gesagt?«
    »Nein… das Problem ist nur, ich habe im Moment…«, wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, dass ein paar Milliliter Tränen in seine Augen einschießen, »… keinen Plattenspieler.«
    Keinen Plattenspieler. Hier steht eine Hifi-Anlage, deren Kabel allein schon mehr gekostet haben, als ich in meinem bisherigen Leben in meine Altersvorsorge eingezahlt habe, und sie kann keinen Ton von sich geben. Ich weiß, dass ich jetzt besser nicht in schallendes Gelächter ausbrechen sollte. Aber erzähl das mal der Stelle in meinem Gehirn, die für Gelächter zuständig ist.
    »Entschuldigung, bruhahahaha!… Ich musste nur gerade an was… huahuahuaaaaahuhaha!… Superlustiges denken… huhuhuhaaaaarharharhar!«
    Mist, jetzt er hält mich für bekloppt. Der Mann mit der besten Jazzplattensammlung der Stadt. Das darf nicht sein. Ich brauche ihn!
    »Bruhahahahaaaahahahahohohohaaahaaaaa!«
    Was sag ich bloß?
    »Okay… huhu… also, ich habe heute meine Kollegin Frau Gruber von den Haushaltswaren… äh, ich bin Verkäufer bei Karstadt, Herrenunterwäsche, falls du mal Bedarf hast… huhu… also, ich habe Frau Gruber dabei erwischt, wie sie sich einen Rührbesen auf den Kopf geschnallt hat…«
    Schlecht, ganz schlecht.
    »Okay, das hört sich jetzt nicht so lustig an. Du hättest
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