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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden
Autoren: Carlos Salem
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einen Schubs.
    Es ist keine Rache.
    Es ist die Seebestattung meines Ersten Offiziers.
    Als ich ihm aber mit einem militärischen Gruß noch die letzte Ehre erweisen will, haut meine Hand versehentlich gegen das verbundene Auge.
    Zu meiner großen Überraschung sind sie noch nicht fort. Die Kinder kommen mir entgegengelaufen und umarmen mich, Leticia lächelt dankbar und Arregui sieht mich spöttisch, aber auch erleichtert an. Camilleri hält sich abseits, er will die Familienzusammenführung nicht stören, die für jeden anderen Camper sicher vollkommen banal wirkt: der Vater, der mitten in der Nacht auf den Campingplatz kommt, weil die Arbeit ihn ein paar Tage länger in der Stadt zurückgehalten hat. Niemand hat gemerkt, was gerade in wenigen hundert Metern Entfernung geschehen ist.
    »Warum bist du mit ihnen noch nicht über alle Berge?«, frage ich Txema ohne Verärgerung.
    »He, du hast gesagt, ich soll bis halb eins warten«, erklärt er mit geheuchelter Unschuld.
    Insgeheim bin ich froh, dass er nicht auf mich gehört hat. Ich lächle dem Professor zu und bedanke mich mit einer Geste, die nicht nach Erklärungen verlangt. Er hat Sven getötet, um meine Kinder zu retten, das spricht für ihn und ist nicht mit Geld aufzuwiegen. Dann erkläre ich den Kindern, dass sie mit Mama und Señor Arregui zu Gaspar fahren und wir uns eine Weile nicht mehr sehen werden und dass sie in den nächsten Wochen unter Umständen ziemlich hässliche Dinge über mich hören.
    »Brasilien«, flüstert Leti mir zum Abschied ins Ohr, als hätte sie mir nicht zugehört.
    »Was?«
    »Unsere Reise an Weihnachten, Papi. Sie soll nach Brasilien gehen. Und von dort aus nach Peru, ich will unbedingt den Machu Picchu sehen, und dann vielleicht noch nach Buenos Aires. Dort kannst du mir dann das Tangotanzen beibringen, das kannst du bestimmt auch.«
    »Abgemacht.«
    »Ah, und noch was: Ich hab’s nicht getan.«
    »Was denn, Leti?«
    »Na, das mit dem Sex. Borja ist ein Dummkopf, und wie du gesagt hast, es hat keine Eile …«
    Erleichtert will ich schon aufatmen und irgendeinen väterlichen Spruch aus dem Ärmel schütteln, doch Leti ist noch nicht fertig:
    »… ich mach’s dann einfach in Brasilien. Du weißt ja, was man den Schwarzen nachsagt, sie …«
    Sie wird von Antonio zur Seite geschoben, der inzwischen um einiges älter wirkt als zu Beginn dieser Ferien.
    »Mir ist es egal, was sie über dich erzählen«, sagt er und schlingt die Arme um meinen Hals. »Du bist und bleibst mein Papa.«
    »Vorhin am Telefon, Antonio«, sage ich voll väterlichem Stolz, »das war super, wie du mir da indirekt gesagt hast, wo sie euch festhalten.«
    »Es stimmt aber auch, Papa: Du bist für mich jemand ganz, ganz Besonderes.«
    Feierlich reicht er mir seine kleine Hand, was nicht einmal komisch wirkt, und ich schüttle sie und flüstere ihm zum Abschied noch den besten Rat ins Ohr, den ich je bekommen habe:
    »Wenn du je in der Klemme stecken solltest, mein Sohn, dann benutz als Erstes den Kopf, danach die Fäuste, und wenn alles nichts hilft, dann benutz die Eier.«
    Meine Kinder klettern in Arreguis Wagen, während Leticia die letzte Tasche in den Kofferraum hievt und dann auf mich zutritt. Sie hat für mich keine Abschiedsworte, dafür aber einen langen, leidenschaftlichen Kuss, einen so wie früher, der jedoch keine Tür mehr öffnet, sondern sie nur noch sacht und ganz ohne Knall schließt.
    Bevor der Kommissar sich hinters Steuer setzt, zieht er mich noch einmal beiseite, doch ich komme ihm zuvor.
    »Ich weiß, Txema, ich habe genau achtundvierzig Stunden, keine Minute länger, bevor du mich zur Fahndung ausschreibst. Wenn du bis dahin nichts von mir gehört hast, dann bitte meinen Sohn, dir einen Rat zu geben.«
    Er sieht mich schweigend an, mehr Arregui denn je.
    »Und danke. Danke für alles, Txema«, sage ich bewegt.
    »Tu’s nicht und setz dich gleich ab, du Idiot.«
    »Wie? Sie raten mir, meine Bürgerpflicht nicht zu erfüllen, Kommissar?«
    »Leck mich am Arsch«, brummt er darauf und umarmt mich fest. »Sei vorsichtig, Juan.«
    Ich bleibe mitten auf dem Weg stehen, bis die Lichter seines Wagens zwischen den Hügeln verschwunden sind, und drehe mich dann um.
    Camilleri lehnt an einem Baum.
    »Haben Sie eigentlich zu Abend gegessen, mein lieber Juan?«
    »Jetzt wo Sie es sagen, Professor, nein. Meinen Sie, im Restaurant bekommen wir noch etwas?«
    In ein paar Stunden muss ich los, aber jetzt habe ich Lust auf ein Abendessen und
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