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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern
Autoren: Anne Gesthuysen
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dachte Katty und lächelte, als sie ihre Großnichte ansah. Die schwang gerade große Sonntagsreden und wurde von ihrem konservativen Onkel gemaßregelt. Die Arme, grinste Katty, die kriegt aber auch ständig etwas auf die Mütze. Die junge Frau war Studentin, und als sie neulich verkündet hatte, sie werde in eine Wohngemeinschaft einziehen, war Katty fast über Tische und Bänke gesprungen. »Dann musst du dich hier nicht mehr blicken lassen«, hatte sie gefaucht. »Diese Kommunen sind wirklich das Letzte, so eine bist du nicht. Da ist Sodom und Gomorrha.« Sie hatte sich erst beruhigt, als man ihr glaubhaft versichert hatte, dass man es heutzutage auch »Wohngemeinschaft« nannte, wenn man mit einer Freundin die Wohnung teilte. »Kann ich doch nicht ahnen«, hatte Katty sich entschuldigt. »Ich dachte, dass wäre wie bei den Langhaarigen in den Sechzigerjahren.«
    Wenn ich mir Gertrud und Paula so angucke, dann habe ich noch etwa zwanzig Jahre zu leben, dachte Katty jetzt, da lohnt es sich, sich noch mal genauer mit der Jugend von heute auseinanderzusetzen, ich sollte den Anschluss nicht verpassen. Sie blickte weiter in die Runde und sah zu ihrer Zufriedenheit, dass sich alle Gäste gut unterhielten und nirgendwo das Gespräch stockte. Sie beugte sich nach links zu Paula. »Wie gefällt dir das Fest?«
    »Großartig, und ich frage mich die ganze Zeit, was du wohl für mich in zwei Jahren veranstaltest.«
    »Du kannst noch Extrawünsche anmelden, wenn du welche hast, besondere Musikwünsche werden gerne erfüllt.«
    »Bist du eigentlich sicher, dass Piet nicht gleich wieder zu spielen anfängt?«, lachte Paula.
    »Ja«, gab Katty amüsiert zurück und erinnerte sich an die Comichefte, die sie bei einem ihrer Großneffen gesehen hatte, »ich habe ihn gefesselt, geknebelt und an den Bettpfosten geknotet. Wir sind sicher.« Sie erntete von Paula ein herzliches Ploppen, dann beugte sie sich näher zu ihrer Schwester. »Sag mal, hast du eigentlich damals mit Gertrud gesprochen?«
    »Was meinst du mit damals?«, fragte Paula.
    »Ich meine bei dem Scheidungsprozess«, insistierte Katty.
    »Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Ach, du weißt doch, dass ich beim Aufräumen von Heinrichs Zimmer den Ordner mit den Scheidungsakten gefunden habe. Und da musste ich daran denken.«

    »Katty, du hast niemals Anlass gehabt, an der Liebe deiner Schwester zu zweifeln. Reicht dir das?«
    »Was hast du ihr gesagt?«
    »Ich habe ihr gesagt, dass man auf Tellemann hervorragend einen hundersten Geburtstag feiern kann«, grinste Paula.
    Katty begnügte sich mit dieser Antwort. Vielleicht hatte Paula recht. Manchmal musste man die Vergangenheit ruhen lassen und die Gegenwart genießen. Sie würde den Ordner nun endlich verbrennen, so wie Heinrich es schon vor einem Vierteljahrhundert verfügt hatte.
    Die Suppe war gegessen, die Helfer hatten die Teller abgetragen. Es war an der Zeit. Katty klopfte mit dem Messer ans Kristallglas, stand auf und machte sich bereit für eine Rede auf ihre große Schwester. Sie war ein bisschen nervös, denn es sollte keine launige Rede sein. Spaß gab es genug bei Tisch, sie wollte Gertrud würdigen.
    »Liebe Gertrud«, begann sie und musste sich räuspern. Ihre Stimme flatterte ein wenig.
    »Trink erst mal einen«, rief ihr angeheirateter Neffe Bernhard ihr aufmunternd zu, »dann ist die Tröte geschmeidiger.«
    Katty lachte ihn dankbar an. »Ja, schenk mir mal schnell einen ein, Junge!« Sie nahm ein Glas, lehrte es in einem Zug und machte weiter.
    »Ja, jetzt gehdet. Liebe Gertrud!«
    Katty erzählte in kurzen Sätzen Gertruds Leben, sie sprach von ihrem Kummer, ohne den Namen Franz zu erwähnen, aber doch so, dass Gertrud feuchte Augen bekam. Sie dankte ihrer großen Schwester für die Hilfe, die sie immer von ihr erfahren hatte, auch in Situationen, in denen es nicht selbstverständlich gewesen war, und sie bewunderte, wie klug, geradlinig und menschlich Gertrud zeit ihres Lebens gewesen war. Zum Schluss beugte sie sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss. Die Familie klatschte, einige riefen »Bravo« und Gertrudstrahlte sie an. Katty glaubte, in ihrem Gesicht eine tiefe Entspannung ausmachen zu können. Vielleicht hatte Gertrud das Gefühl, dass sie nach achtzig Jahren doch endlich auf den Hof kam, auf dem sie ihr Leben hätte verbringen sollen, wenn das Schicksal nicht ein paar Volten geschlagen hätte. Nachdem Katty das Glas erhoben hatte, um mit allen gemeinsam auf Gertrud anzustoßen, erhob sich
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