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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern
Autoren: Anne Gesthuysen
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merkte, wie ihr vor Enttäuschung die Tränen kamen. Ihre eigene Schwester hatte sie nicht nur öffentlich an den Pranger gestellt, sondern sie auch ins Gefängnis gebracht. Wenn dieRichter Gertrud glaubten, dann hätte sie einen Meineid geleistet.
    »Entschuldigen Sie, hohes Gericht. Ich würde gerne noch etwas anfügen, wonach die Rechtsanwälte mich nicht gefragt haben.«
    Gertrud war im Zeugenstand aufgestanden, um sich Gehör zu verschaffen. »Ich möchte gerne anfügen, dass beide Punkte stimmen, sich aber erklären lassen und die Klägerin ihre Vorwürfe zu Unrecht daraus ableitet. Das Verschwinden des Nachthemds erklärt sich aus folgender Situation: Die Klägerin war über den Weißen Sonntag verreist. Mein Bruder, Josef Franken, wohnhaft in Mörmter und hier ebenfalls als Zeuge geladen, wird die Situation bestätigen können. Er hatte zur Kinderkommunion seines Sohnes Ludwig eingeladen. Da es auf seinem Hof nicht genug Platz für Gäste gab, hat Heinrich Hegmann freundlicherweise sein Haus für die Unterbringung einiger Gäste angeboten. Er hat an diesem Abend in dem kleinen Zimmer der Hauswirtschafterin Franken geschlafen, während ich mit ihr und unserer Schwester Paula im Schlafzimmer der Eheleute übernachtet habe. Wir haben uns das große Ehebett zu dritt geteilt und hatten es zuvor frisch bezogen. Vermutlich wird das Nachthemd an diesem Tage in die Schmutzwäsche geraten sein. Und falls die Hauswirtschafterin Franken das Zimmer um Mitternacht verlassen hat, war nichts Anstößiges daran, denn dort schliefen nur wir Schwestern.«
    Katty wurde von einem Gefühl der Liebe und des Glücks durchströmt. Sie hätte Gertrud am liebsten in den Arm genommen. Die hatte inzwischen den Zeugenstand verlassen. Sie blickte weder Heinrich noch Katty an, und anders als erwartet, ging sie sofort. Sie hatte der Familie einen Dienst erwiesen, aber offenbar war ihr nicht danach, dafür gelobt zu werden. Der Prozess war gelaufen. Geradezu gelassen hörte Katty sich eine weitere Vernehmung Anna Marias an, die ein letztes Malversuchte, die Zuhörer auf ihre Seite zu ziehen und den Leuten auf den Rängen eine Stunde lang bot, wonach sie gierten. Sie plauderte über intimste Details des Ehelebens, klagte darüber, wie sie immer wieder hinter dem gemeinen, unanständigen Weib habe zurückstehen müssen, wie sie von Beginn an getäuscht und schließlich mehr und mehr gedemütigt worden sei. Es sei ständig zu Küssen und Berührungen zwischen Heinrich Hegmann und der Zeugin Franken gekommen. An dem frühen Morgen, als die Hauswirtschafterin den Eheleuten beim Verkehr zugesehen habe und ihr Ehemann, der es sehr wohl bemerkt habe, nicht eingeschritten sei, sei sie innerlich zerbrochen.
    Heinrichs Anwälte nahmen Anna Maria in die Mangel und hinterfragten jede einzelne ihrer Behauptungen. Zuletzt warfen sie ihr vor, nur hinter dem Vermögen Heinrich Hegmanns hergewesen zu sein. Sie habe darauf gewettet, dass dieser sich wegen seiner herausragenden Position eine Scheidung nicht erlauben könne, und habe ihm deshalb ein geradezu erpresserisches finanzielles Angebot gemacht.
    Katty empfand keine Genugtuung, als sie sah, wie Heinrichs Anwälte Anna Maria zerpflückten. »Hätten Sie nicht in eine Trennung ohne Scheidung eingewilligt, wenn Herr Hegmann Sie als Erbin beibehalten und Ihnen einen großzügigen Unterhalt gezahlt hätte?«, hörte sie den Rechtsanwalt fragen und schämte sich. Das Duell der Rechtsanwälte gewann Heinrich auf ganzer Linie. Selbst als er im Zeugenstand so manche Lieblosigkeit zugeben, manche Ungerechtigkeit gegenüber seiner Ehefrau einräumen musste, betonten seine Anwälte ein ums andere Mal, die Klägerin habe dieses »Fehlverhalten längst durch nachfolgenden Verkehr verziehen«, so nannten sie das. Heinrich betonte noch einmal, er habe zur Hauswirtschafterin Franken niemals eine sexuelle Beziehung gehabt, und es war deutlich, dass die Richter ihm glaubten. Ob Heinrich an damals denkt, fragte sich Katty und erschrak für einen Moment. Doch dann tröstete sie sich damit, dass das alles in einem anderen Leben stattgefunden hatte. In einer Welt zwischen den Welten, die immer nur in ihren Köpfen existiert hatte.
    Als sich das Gericht zur Beratung zurückzog, verließ Katty den Saal. Sie war froh, dass Gertrud schon gegangen war.

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    Nach ihrem kurzen Nickerchen schien Gertrud frisch und erholt. Katty erreichte sie erst kurz vor dem Ausgang und hakte sie
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