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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern
Autoren: Anne Gesthuysen
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unter. Sie liefen durch ein Spalier von Nachbarn und Nachbarinnen, die Blumen streuten wie bei einer Hochzeit, dazu spielte eine Blaskapelle. Gertrud hielt an und nahm das Ständchen mit sichtlicher Freude und leichtem Wippen entgegen.
    »Kommt bitte alle mit auf den Hof«, krächzte sie atemlos, und Katty stimmte ein.
    »Ja, ihr wisst doch, dass ihr immer gut verköstigt werdet. Da könnt ihr Gertrud in Ruhe gratulieren.«
    Sie stiegen ins Auto und fuhren zum Hof, wo Katty das übliche Zelt im Garten hatte aufstellen lassen. Wie seinerzeit beim Besuch von Heinrich Lübke würde die Jubilarin später zum Essen mit den engsten Verwandten im Speisezimmer des Hauses sitzen. Katty hatte Sorge gehabt, dass ihre Schwestern sich im zugigen Zelt verkühlen könnten. Da aber dieser 8. Mai ein ausgesprochen warmer Frühlingstag war, hatte sie beschlossen, Gertrud vor dem Zelt einen Sessel aufzustellen. So konnte sie die Gratulantenschar bequem an sich vorbeiziehen lassen. Katty wusste, dass sich auch Gertrud im Kopf eine Liste von den Menschen gemacht hatte, die sie an diesem Tag dringend sehen wollte und über deren Fernbleiben sie beleidigt wäre.

    Eine geschlagene Stunde saß Gertrud in ihrem Sessel, hörte sich von Nachbarn Gereimtes, von Verwandten theatralisch Dargebotenes und vom Kirchenchor professionell Gesungenes an. Und ihre Laune stieg mit jedem Gast, der sie herzte und drückte und ihr noch viele schöne Jahre wünschte. »Natürlich«, lachte sie dann jedes Mal. »Ihr wisst doch: Unkraut vergeht nicht.«
    Katty stand neben dem Sessel, hielt mit ihrer Schwester gemeinsam Hof und lud ein, ordentlich zu essen und zu trinken. »Es ist genug da«, betonte sie immer wieder. »Hier im Hause hat noch keiner darben müssen.«
    Das wussten sie alle. Fast jeder war schon einmal auf dem Tellemannshof zu Gast gewesen, und sie waren immer gerne wiedergekommen. Auch die Scheidung hatte daran nichts geändert. Niemand hatte sie danach gemieden, obwohl Katty und Heinrich das befürchtet hatten. Ob es an Heinrichs Stellung oder an ehrlicher Sympathie für die Bewohner des Tellemannshofes lag, hatte Katty nie erfahren, aber alle Freunde und Bekannten hatten von Anfang bis Ende der schmutzigen Geschichte zu ihnen gestanden. Einige der heutigen Gäste hatten im Scheidungsprozess als Zeugen aussagen müssen. Doch nie wieder waren Heinrich oder Katty auf den Prozess angesprochen worden. Es war endgültig vorbei gewesen, als das Oberlandesgericht Kleve die Berufungsklage abwies und damit das Urteil bestätigte, in dem Heinrich Hegmann auf ganzer Linie Recht bekommen hatte. Die Schuld für die Zerrüttung der Ehe war Anna Maria zugeschrieben worden, sie hatte sogar für die Prozesskosten aufkommen müssen. Bis auf einen Ordner voller Akten war davon nichts mehr geblieben.
    Von Anna Maria hatte man nie wieder etwas gehört. Sie war nach der Scheidung angeblich nach Süddeutschland gezogen, ob sie noch lebte, wusste Katty nicht. Vierundachtzig wäre sie jetzt, dachte sie, ist ja eigentlich kein Alter. Auch im Dorf hattesie nie mehr eine böse Bemerkung gehört. Vielleicht lag es daran, dass man die Dinge am Niederrhein gerne unter den Teppich kehrte, vielleicht waren die Wardter aber einfach zu stolz auf Heinrich Hegmann gewesen. Er war am 18. Juni 1950 mit einem hervorragenden Ergebnis wiedergewählt worden. Und ebenso bei allen Landtagswahlen, die folgten. Erst sein Tod hatte ihn aus dem nordrhein-westfälischen Landtag gerissen.
    Katty spürte einen stechenden Schmerz in den Zehen, guckte böse nach unten und bemerkte, dass Paula sich zu ihnen gesellt hatte und ihr auf den Fuß getreten war.
    »Du sollst keine fremden Gedanken neben mir haben, kennst du nicht Gertruds oberstes Gebot«, flüsterte sie und Katty setzte eine schuldbewusste Miene auf. Dann legte sie den Finger an den Mund und mahnte: »Pst!«
    Noch einmal sang der Chor, und es war eine Freude, zuzuhören. Zusammen mit den engsten Verwandten, den Nichten und Neffen hatte er eine Abwandlung des Liedes die »Rose vom Wörthersee« einstudiert. »Du bist die Rose vom Frankens-Clan« hieß es darin, und als Katty schließlich den Gratulationsreigen beendete, alle zum Büfett schickte und Gertrud unterhakte, um sie zum Essen ins Haus zu führen, ließ die sich den Text noch auf der Zunge zergehen. »Herrlich«, sagte sie immer wieder, wenn ihr eine weitere Zeile eingefallen war.
    Beim Mittagessen wurde natürlich über Politik diskutiert. So ist es in diesem Haus immer gewesen,
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