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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
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übernahm die staatliche Finanzaufsicht die Banken Glitnir und Landsbanki und am Tag danach die Kaupthing Bank. Aber es ging dabei nicht um eine staatliche Übernahme und den weiteren Betrieb der Banken, wie ursprünglich mit Glitnir geplant. Dazu war der isländische Staat viel zu schwach. Sondern man gründete neue Banken, um die isländischen Einlagen und ein funktionierendes Finanzwesen mit Kreditkarten, und allem was dazu gehört, zu sichern. Der ausländische Teil und damit der Großteil der Banken ging in Insolvenz. Nicht nur die isländischen Eigentümer, sondern auch die ausländischen Kreditgeber der Banken, darunter viele deutsche Finanzinstitute, verloren eine Unmenge Geld. Der Staat konnte weder, noch wollte er die Gesamtverpflichtungen der Banken übernehmen.
    Aber was war mit den Icesave-Konten? Da galten ja die europäischen Regeln zur Einlagensicherung. Im Vergleich zu dem, was es da zu sichern galt, das heißt, sechshundert Milliarden Kronen insgesamt in England und Holland, war der isländische Einlagensicherungsfonds ein Witz: ungefähr achtzehn Milliarden hatte man dort liegen. Die britische Finanzaufsicht griff sofort ein und übernahm die Verwaltung der isländischen Banken in England, wobei man sich auf die Terroristengesetze vom Herbst 2001 berief, die gegen Staaten oder Organisationen gerichtet waren, die Großbritanniens Gesellschaftsordnung bedrohten. Die Engländer schlossen die Bank, weil die Isländer ihr Geld verjubelt hatten, wie es in Halldór Laxness’ Roman »Weltlicht« vor siebzig Jahren geheißen hatte. Anfang April 2009 kam zwar ein britischer Parlamentausschuss
zu dem Schluss, die Anwendung der Terroristengesetze sei nicht gerechtfertigt gewesen, aber da war es längst zu spät.
    Die nächsten Tage brachten ein unglaubliches Chaos mit sich. Die isländische Regierung protestierte lautstark gegen die Anwendung der Terroristengesetze; David Oddsson erklärte im Fernsehen, die Isländer würden nie und nimmer für die Schulden von Betrügern aufkommen, und meinte damit die Bankchefs; einen Tag lang glaubte man, Kaupthing würde überleben, und die Bank bekam sogar ein Notdarlehen von der Zentralbank; am 7. Oktober 2008 erklärte die Zentralbank, dass die Russen mit einem Kredit von vier Milliarden Euro zur Stärkung der Devisenreserve den Isländern beistehen würden; dann erwies sich, dass der russische Finanzminister nicht einmal ein Ersuchen um ein solches Darlehen erhalten hatte; die westlichen Bündnisländer fragten sich, wo Island überhaupt hinwollte – auf Island wusste man das auch nicht. Man fragte sich, ob der Staat ausländischen Anlegern mehr als sein gesamtes Jahresbudget ausbezahlen musste, und suchte verzweifelt nach Kredit; Isländer, die ins Ausland reisten, standen drei Stunden Schlange in der Bank, um sich sage und schreibe einhundertzehn Euro eintauschen zu dürfen; der Wechselkurs der Krone sank noch schneller als der Wert der Banken: Es war ein heilloses Durcheinander, vor den Augen der ganzen Welt, die gebannt verfolgte, wie in Island als erstem westlichen Land das komplette Finanzsystem angesichts der internationalen Krise zusammenbrach – Premier- und Handelsminister hielten tägliche Pressekonferenzen ab und wussten doch weder ein noch aus.
    Am Ende entschloss sich die isländische Regierung, beim Internationalen Währungsfonds um Hilfe zu ersuchen. Der IWF
willigte am 19. November 2008 ein, den Isländern ein Darlehen von 2,1 Milliarden US-Dollar zu gewähren, unter der Voraussetzung, dass Island sich zusätzlich dieselbe Summe von anderen Ländern mit bilateralen Abkommen sichern könnte – was dann auch gelang, hauptsächlich bei den nordischen Ländern. Diese Länder stellten jedoch eine andere, für Island ungemein schwere Bedingung: der Staat müsse die Verpflichtung aus der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung der Icesaveund Kaupthing-Edge-Konten, zwanzigtausend Euro pro Konto, übernehmen. Doch was bedeutete das? Da sind die Isländer noch am Rätseln. Zu hoffen, dass der Verkauf des Eigentums der alten Banken einen Großteil dieser Summe einbringt, scheint unter den jetzigen Bedingungen ein unrealistisches Ziel. Vieles davon waren Verflechtungen, virtuelles Geld sozusagen, anderes ist sehr im Wert gefallen. Klar ist und war nur, dass der isländische Staat, vorher fast schuldenfrei, ausund inländischen Anlegern plötzlich mehr als seinen gesamten Jahresetat schuldete. Das ehemals fünftreichste Land der Welt befand sich auf dem Status
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