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Wir neuen Großvaeter

Wir neuen Großvaeter

Titel: Wir neuen Großvaeter
Autoren: Rainer Holbe
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verirrte. Aber eigentlich war so ein Störenfried nicht gerne gesehen. Die Herren akzeptierten gerade noch den Besuch von Onkel Anton, aber der trank höchstens zwei, drei Humpen. Schließlich musste er am nächsten Morgen mit dem Holzvergaser los ...

Der wackelnde Totenkopf
    Wie ich auf dem Bauernhof Küken und Kühe vor dem Schlimmsten bewahrte
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    Ich wäre gerne mein Leben lang in dem Haus meiner Großmutter in Frauschiele geblieben, allein die Umstände – sie waren nicht so. Es war Krieg, und nach dem Krieg mussten wir unsere böhmische Heimat verlassen. Wir wurden mit einem Güterzug über das Erzgebirge in die Altmark transportiert. Meine Mutter und meine Großmutter Anna haben viel geweint in dieser Zeit, besonders als wir unsere erste Unterkunft in einer Waschküche fanden, deren Fußboden zementiert und mit einem Ausguss versehen war. In dem kalten, kahlen Raum wurden manchmal auch die Schweine geschlachtet.
    Wir schliefen auf Strohsäcken, und meine Mutter verdiente sich unser Essen mit Arbeit auf dem Feld.
    Ich inspizierte inzwischen den Bauernhof, freundete mich mit den vielen Tieren an und studierte die Gewohnheiten der Hennen, die ihre frisch gelegten Eier in der Scheune zu verstecken pflegten. Oft genug habe ich ein Ei angebohrt und gleich ausgetrunken, meistens habe ich meine Beute mit Mutter und Großmutter geteilt. Irgendwann aber muss ich wohl der Bäuerin auch angenehm aufgefallen sein. Frau Hecht* mochte mich, und auch Tochter Ursula wird ein Wort für uns eingelegt
haben. Jedenfalls siedelten wir schon bald aus unserer primitiven Behausung in das Altenteil des Bauernhauses um: eine kleine Wohnung mit einer Küche und einem Zugang zum Gemüsegarten. Es war der Einzug ins Paradies.
    Hin und wieder ratterte ein russischer Panzer über das von alten Eichen begrenzte Kopfsteinpflaster der Dorfstraße, und oft kamen abgemagerte Leute aus dem zerbombten Berlin, um bei den Bauern Teppiche, Porzellan und Ölgemälde gegen Butter, Eier und ein paar Würste einzutauschen.
    Herr Hecht* gestattete mir bisweilen, auf seinem Rappen »Philip« über die Felder zu reiten, ohne Sattel, nur mit dem Zaumzeug. Im Frühjahr begleitete ich den Bauern in der Kutsche nach Packebusch, wo wir ganze Stafetten von Hühnereiern unter heißen Lampen ausbrüten ließen. Die Küken nahmen wir gleich wieder mit. Ich höre noch heute das aufgeregte Gezwitscher in den mit Atemlöchern versehenen Pappschachteln. Auf dem Hof wurde für den Hühnernachwuchs ein Gatter errichtet, mit Sand zum Scharren und einem Trog mit Wasser. Ich saß inmitten von Hunderten zwitschernder gelber Federknäuel, die sich aufgeregt über das Wunder des Lebens unterhielten. Oft blieb ich dort ganze Nachmittage, um im Ernstfall eingreifen zu können. Hoch oben in den Lüften waren nämlich immer ein paar Habichte und Bussarde unterwegs, die meine Schutzbefohlenen scharf im Auge behielten. Noch heute bin ich stolz darauf, dass kein einziges meiner Küken den Greifvögeln in die Fänge geraten ist.
    Im Frühling trieb ich zusammen mit den Knechten die dreißig Kühe aus den Ställen auf die Weide. Während der Sommermonate machte ich es mir bei ihnen bequem, schnitzte Flöten aus Weidenholz und bastelte mir Pfeil und Bogen.
    Meine Anwesenheit hat dazu beigetragen, dass die überall im Lande versammelten Viehdiebe keine Beute machen konnten. Abends geleitete ich die Kühe zurück in den Stall. Ich kannte alle ihre Namen und freute mich an ihrer Zuneigung, wenn sie mir mit ihrer klebrigen Zunge die Hände leckten.
    Hin und wieder sprang ich mit meinen nackten Füßen – wir Kinder gingen von Mai bis August stets barfuß – in die noch warme Kuhkacke. Ein tolles Gefühl!
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    Nach Feierabend brach ich auf, um mit einer Blechkanne den zugeteilten Liter Milch für die Familie zu holen. In der Nachbarschaft gab es einen Meierhof, der für die Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen im Dorf zuständig war. Ich hatte bald herausgefunden, dass der Weg dorthin mit einem Gang über den Friedhof abzukürzen war. Die Tore des »Gottesackers«, der um eine alte Backsteinkirche angelegt war, blieben Tag und Nacht geöffnet. Unweit der Gräberreihen gab es ein Denkmal für die im Krieg getöteten Männer des Dorfes. Vor einem steinernen Kreuz befand sich auf einem Podest ein menschlicher
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