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Wir neuen Großvaeter

Wir neuen Großvaeter

Titel: Wir neuen Großvaeter
Autoren: Rainer Holbe
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Frankfurt sagt – »hinne alles reimt«. Das Theaterstück ist ein einziges, großes Gedicht, eine Tatsache, die das Auswendiglernen erleichtert. Weder meine Klassenkameraden in der Textorschule noch meine Hinterhof-Bande wussten von meiner Leidenschaft. Und so blieben Faust und ich eine verschworene Gemeinschaft.
    Inzwischen war ich neugierig auf Herrn Goethe geworden und erfuhr, dass meine Schule nach seiner Mutter Elisabeth Textor benannt und dass ihr Sohn im »Großen Hirschgraben« geboren wurde. Als das im Krieg zerstörte Gebäude endlich original wieder aufgebaut wurde, war das ein unübersehbares Zeichen: Es ging wieder aufwärts. Bei der Einweihung am
10. Mai 1950 drängelte ich mich ganz nach vorn unter die Zuschauer. Für ein paar Sekunden konnte ich dabei unserem Bundespräsident Theodor Heuss in die Augen schauen, den ich bisher nur aus der Wochenschau im Kino kannte.
    Das Haus am Großen Hirschgraben wurde für mich zur Wallfahrtsstätte. Ich kenne jede Diele, weiß um das alte Puppentheater von Johann Wolfgang und seiner Schwester Cornelia und führe noch heute Freunde und Bekannte durch die Zimmer. Ich weiß alles über Goethes Kindheit in Frankfurt, so als hätte ich sie selbst erlebt. Seine Mutter ist mir ebenso vertraut wie meine eigene, und seinem Vater begegne ich inzwischen mit Respekt.
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    In jedem Lebensalter eröffnet mir Faust I neue Perspektiven. Während meiner ereignislosen Lehrjahre als Verlagskaufmann tippte ich statt nervtötender Vertriebsadressen Verse aus der »Hexenküche« in die Triumph-Maschine. Auf langen Waldspaziergängen mit meinen Hunden »Bobby« und »Josef« deklamierte ich das »Vorspiel auf dem Theater«, sodass ich annehme, dass meine vierbeinigen Freunde im Hundehimmel manchmal vom alten Goethe träumen.
    Der Faust begleitet mich auch auf dem Weg zum Greis. Ich danke der Sachsenhäuser Buchhändlerin für ihren gelungenen Griff ins Regal, aber auch meiner Mutter, die mir das »Richtige« unter die Tannenzweige gelegt hat. Der Faust ist ein literarisches Meisterstück, doch das größte Kunstwerk war ohne jeden Zweifel Goethe selbst.

Der Untergang der Titanic im Kohlenkeller
    Vom Spielen im Hinterhof und einem Prozess gegen Kinder
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    Jeder Großvater erinnert sich gerne an einen besonderen Tag in seinem Kinderleben: den letzten Schultag vor den Sommerferien. Wir quetschten uns zwar noch in den alten Bänken herum, doch mit unseren Gedanken waren wir bereits unterwegs zur ultimativen Freiheit. Sechs Wochen lang ausschlafen, spät ins Bett gehen, lange schmökern und mit den Freunden spielen. Der Hinterhof in der Mörfelder Landstraße führte zu einem Trümmergrundstück, auf dem vor dem Krieg ein mehrstöckiges Wohnhaus gestanden hatte.
    Die Ruinen mit ihren vom Feuer angerußten Steinen, verbogenen Eisenstäben und dem zu feinem Staub zerfallenen Mörtel waren für uns der ideale Abenteuerspielplatz.
    Beim Buddeln fanden wir kostbare Schätze: Reste von bronzenen Obstschalen, Bleirohre von geborstenen Wasserleitungen und vom Feuersturm verschonte Kristallvasen. Wir brachten unsere Beute heimlich zum Altwarenhändler, der uns dafür Indianer – und Cowboyfiguren gab. Erst als ich mit meinen Freunden Kriegsrat gehalten hatte, kamen wir zu dem Schluss: Der Händler hatte uns mit den wertlosen Plastikfiguren betrogen.
Ab da erhielten wir schon mal einen Zehn-Mark-Schein bar auf die Hand für unsere Fundstücke, den wir in der »Lichtbühne« gegen Kinokarten eintauschten. Gebannt saßen wir an heißen Sommertagen vor der flimmernden Leinwand, bewunderten Zorro, den Rächer der Enterbten oder begleiteten James Stewart zu König Salomons Diamanten .
    Hatte uns ein Film besonders beeindruckt, spielten wir im Hinterhof die entscheidenden Szenen nach, schleppten uns durch das schwarze Afrika oder verteidigten Fort Alamo gegen den Ansturm der Mexikaner. Längst hatte ich Winnetou in der Schulbibliothek für mich entdeckt, ein edler Apatsche gegen die ruchlosen Kiowas.
    Am »Letzten Hasenpfad« hatte ein alter Mann eine verfallene Gartenhütte in ein Schmöker-Paradies verwandelt: In zerfledderten Schuhkartons schlummerten die Abenteuer des Farmerjungen Pete und seiner Freunde Bill Jenkins und Tom Prox, aber auch Romane über den Wettlauf zum Südpol und den Untergang der Titanic . Schon für
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