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Wir erklären den Frieden! (German Edition)

Wir erklären den Frieden! (German Edition)

Titel: Wir erklären den Frieden! (German Edition)
Autoren: Stéphane Hessel , Dalai Lama
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dabei keineswegs um eine religiöse Praktik, sondern um ein strenges Training zur Schärfung der Achtsamkeit und zur Bewusstseinserweiterung.
    S. H.: Liebe und Hass sind die zwei treibenden Kräfte. Wie kann man den Hass abschütteln? Jeder von uns verspürt doch ab und zu Hass.
    D. L.: In Zusammenarbeit mit befreundeten Wissenschaftlern, herausragenden Figuren wie Francisco Varela, Matthieu Ricard oder Richard Davidson 5 , die uns an ihrem Wissen und ihren Technologien teilhaben ließen, konnten wir ansatzweise eine geistige Landkarte skizzieren. Heutzutage lässt sich die Gehirnaktivität millimetergenau bestimmen. Ist die geistige Landschaft erst einmal beleuchtet und erfasst, können wir sogar positive Regungen wie Mitgefühl und Verständnis trainieren, um destruktive Impulse wie Wut, Argwohn, Angst, Hass zurückzudrängen – wir können also unser Temperament ändern. Ich sage es noch einmal, es handelt sich nicht um eine religiöse Lehre, sondern um eine geistige Übung. Als Sie im Konzentrationslager waren, hatten Sie für die Nazis sicher nur Hass übrig.
    Ohne Stock und Hass
    S. H.: Nein, Hass eigentlich nicht.
    D. L.: Das glaube ich Ihnen sofort! Dass Sie ein so hohes Alter erreichen konnten, ohne am Stock zu gehen, zeigt, wie gelassen und ruhig Ihr Geist ist. Das hat sich auf Ihre körperliche Gesundheit ausgewirkt. Davon bin ich voll und ganz überzeugt.
    S. H.: Ich werde Ihnen von einem wirklich außergewöhnlichen Erlebnis erzählen. 1943 war ich als Geheimagent in Paris unterwegs und wurde plötzlich festgenommen. Jemand stieß mir eine Pistole in den Rücken. Ich dachte: Es ist aus, sie werden mich umbringen. Es gab für sie keinen Grund, das nicht zu tun, schließlich war ich ein feindlicher Ausländer, sie waren die Sieger, vorerst hatten sie den Krieg gewonnen. Dann kam es zu einer vorübergehenden Trennung von Körper und Geist. Mein Körper hat nachgegeben, mein Geist blieb wach und offen. Für mich war das eine unglaubliche Erfahrung. Sie hat nicht lange vorgehalten, denn ich wurde gleich darauf abgeführt und verhört. Aber es bleibt dieser einzigartige Moment, in dem man denkt: Das ist der sichere Tod! Und dann überlebt man! Ich bin immer noch da. Ich habe überlebt.
    D. L.: Mehr als das, Sie haben in Würde überlebt. Sie haben Ihren Feinden keinen Hass entgegengebracht. Eine buddhistische Übung besteht darin, den Feind als besten Lehrer zu betrachten. Mit ihm als Gegenüber können Sie Toleranz und Geduld trainieren, beides ist sehr nützlich, um sich seine Entschlossenheit zu bewahren. Denn selbst wenn Sie sich anfänglich voller Begeisterung in ein Projekt stürzen, kann extreme Ungeduld zu Hass, Angst und Zweifel führen. Toleranz ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Je mehr Selbstvertrauen Sie entwickeln, desto toleranter werden Sie. Wut ist ein Zeichen von Schwäche.
    Die Kluft zwischen Arm und Reich
    S. H.: Leider gibt es auf Erden auch welche, die sagen: Wir bekommen nicht das, was uns zusteht, wir leben im Elend. Und auf der anderen Seite sind diese Leute, diese Kapitalisten, die über die ganze Macht verfügen, wir hassen sie, wir wollen sie vernichten. Es dürfte schwer sein, sie zu Offenheit und Wohlwollen zu bewegen.
    D. L.: Ich erinnere mich an meine erste Reise nach Europa, 1973. In Genf hatte ich einen alten englischen Gentleman vor den Kopf gestoßen, als ich sagte, dass ich nur wenig Hoffnung in die Älteren setze, weil ihre Ansichten so starr und festgefügt sind. Damals lebten die Menschen isoliert voneinander, natürlich fühlten sie sich bedroht. Die westlichen Gesellschaften hatten es längst zu Wohlstand gebracht, doch ohne die anderen in ihren Bemühungen zu unterstützen. Wir sind bis heute in diesen alten Denkmustern gefangen, halten an der Trennung zwischen »ihnen« und »uns« fest. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich noch weiter vertieft. Der furchterregende Machtzuwachs wirtschaftlicher Interessengruppen sowie die Armut, die weiter um sich greift, sollten uns alle motivieren, unser Wirtschaftssystem grundlegend zu reformieren. Wir sollten eine Wirtschaft anstreben, die auf Mitgefühl basiert und den Prinzipien von Würde und Gerechtigkeit für alle folgt, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht. Egal, wo Armut sich ausbreitet, überall bedroht sie den sozialen Frieden, begünstigt sie Krankheiten, Leid und bewaffnete Auseinandersetzungen. Armut ist nicht nur in moralischer, sondern auch in praktischer Hinsicht
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