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Wir erklären den Frieden! (German Edition)

Wir erklären den Frieden! (German Edition)

Titel: Wir erklären den Frieden! (German Edition)
Autoren: Stéphane Hessel , Dalai Lama
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L.: Die jüdisch-christliche Tradition ist doch auch sehr alt! Meiner Ansicht nach haben die christlichen Brüder und Schwestern auf praktischem Gebiet, etwa der Erziehung und Medizin, wertvolle Beiträge geleistet, und zwar überall auf der Welt. Der Buddhismus hingegen kaum. Der Islam nur in begrenztem Maß, genau wie der Hinduismus. Unlängst war ich in Kalkutta, um den Todestag von Mutter Teresa zu begehen, und ich habe ihre große innere Stärke gewürdigt, die Entschlossenheit, die sie der christlichen Tradition und ihrer Liebe zu Gott verdankte. Es ist großartig, sich Gott so nahe zu fühlen, aber dadurch wird das Denkvermögen nicht unbedingt geschult. Der Buddha hat seinen Schülern ausdrücklich gesagt, dass sie seine Lehre nicht aus Verehrung oder Frömmigkeit übernehmen sollen, sondern erst nach eingehender Prüfung. Diese Art der Überlieferung gibt uns mehr Verantwortung. Der Gott der Juden und Christen nimmt die ganze Verantwortung auf sich, während der Buddha sie seinen Anhängern überträgt.
    S. H.: Schön, dass Sie uns auf diese Weise an die Verantwortung erinnern, die wir wahrnehmen können und wahrnehmen sollten.
    D. L.: Wir können tatsächlich im Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit handeln, als dieses große »Wir«, das die ganze Welt umfasst. Besser ein großes »Wir« als ein großes »Alles«. Zurzeit verharren wir aber noch in einem System, das zwischen »ihnen« und »uns« eine Grenze zieht. Und diese Grenzlinie prägt nach wie vor unser Denken. Sie bringt uns dazu, die eigenen Interessen zu verfolgen, Konflikte zu schüren, und zuweilen sogar dazu, unseren Nachbarn auszubeuten, ihn einzuschüchtern. Von dieser Linie gehen Gewalt und Kriege aus. Wenn Sie sich allerdings der Gemeinschaft aller Menschen verbunden fühlen, werden Sie sich von allein öffnen. Ihr Handeln wird aufrichtig sein, über jeden Verdacht erhaben, und Sie werden daraus innere Stärke und Zuversicht, Selbstvertrauen und Vertrauen in andere schöpfen, Freundschaft üben. Ich denke oft an die letzten sechzig Jahre meines Lebens zurück und komme zu dem Schluss, dass sie recht turbulent waren. Ich habe tragische Dinge erlebt, schwierige Situationen, auch wenn ich im Gegensatz zu Ihnen niemals in einem Konzentrationslager war.
    S. H.: Das war nicht von Dauer. Ich habe nur zehn Monate im Konzentrationslager verbracht.
    D. L.: Die Probleme sind immer noch da, die Ängste auch, das ist traurig. Doch zugleich stelle ich fest, dass mein innerer Friede vollkommen ist.
    Eine uralte indische Lehre
    S. H.: Wie erhalten Sie sich Ihren inneren Frieden angesichts dieser vielen Probleme?
    D. L.: Ich empfehle den Menschen stets zweierlei. Zunächst einmal: Benutzt euren Verstand. Jede Situation kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. In meinem Fall kann ich sagen: Ich habe meine Heimat verloren, ich habe den größten Teil meines Lebens im Exil verbracht, als Flüchtling. Ich kann aber auch sagen: Ich habe die ganze Welt für mich entdeckt, ich kann unmittelbar mit anderen in Kontakt treten, ohne Zeremoniell. Wäre ich im Potala-Palast geblieben, meiner Residenz in Lhasa, hätte ich mich in diesem unnützen Zeremoniell verfangen. Neben dem Verstand ist der zweite entscheidende Aspekt die Herzenswärme. Um die Grenzlinie zu überwinden, die zwischen »ihnen« und »uns« besteht, solange wir im alten System verharren, und immer noch unser Denken bestimmt. Sie verhindert, dass wir uns der Gemeinschaft aller Menschen verbunden fühlen.
    S. H.: Im Austausch mit Neurowissenschaftlern haben Sie festgestellt, dass deren jüngste Forschungsergebnisse mit Ihren eigenen Erfahrungen übereinstimmen.
    D. L.: Ja, Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Wut, Angst und Hass unser Immunsystem massiv angreifen. Ein ausgeglichener Gemütszustand trägt wesentlich zu unserem physischen und geistigen Wohlbefinden bei.
    S. H.: Stimmt, all das macht uns krank.
    D. L.: Seit über zwanzig Jahren bin ich mit Wissenschaftlern im Gespräch. Für sie sind die uralten indischen Erkenntnisse über das Bewusstsein, den Geist, die Gefühle von großem Interesse. Eine wachsende Schar möchte mehr darüber erfahren. Buddhisten sprechen aus eigener Anschauung über die Erkundung des Geistes. Seit Jahrhunderten üben wir uns darin, unsere Achtsamkeit zu schulen. Wir wenden Techniken der Selbsterforschung, Innenschau und Kontemplation an, die im Lauf der Jahrhunderte verfeinert wurden. Die Meditation steht im Zentrum. Es handelt sich
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