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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Frage, die ich ihm stellte, nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Die Art und Weise, wie ich darauf reagierte, brachte ihn auf die Idee, ein Experiment in puncto Frühreife zu unternehmen. Um die Katastrophe komplett zu machen, hatte ich auch noch Probleme mit meinem Gehör – sieben Operationen zwischen dem neunten und dem zwölften Lebensjahr. Das führte natürlich dazu, dass ich mich von den anderen Jungen fernhielt und geradezu gezwungen war, früh reif zu werden. Wie dem auch sei, während meine Altersgenossen sich mit Uncle Remus herumschlugen, bereitete es mir eine wahre Freude, Catull im Original zu lesen.
    Mit dreizehn legte ich meine Eingangsexamina fürs College ab, weil ich nicht mehr länger warten konnte. Meine wichtigsten Gesprächspartner waren Professoren; ich wusste, was für einen superben Verstand ich hatte, und ich war mächtig stolz darauf, denn wenn ich auch ungewöhnlich begabt war, so war ich doch ansonsten völlig normal. Mit sechzehn war ich es leid, ständig etwas Besonderes zu sein; ich kam zu dem Schluss, dass offenbar irgendwer einen bösen Fehler gemacht hatte. Nachdem ich aber nun schon einmal so weit gekommen war, beschloss ich, die Sache auch zu Ende zu bringen und meinen Magister zu machen. Mein Hauptinteresse gilt dem Studium der modernen Philosophie. Ich bin Realist, Anhänger der Schule von Anton Laurier – mit einigen bergsonianischen Einsprengseln –, und in zwei Monaten werde ich achtzehn. Das ist alles.«
    »Puh!«, rief Marcia. »Das reicht ja auch! Könn’ Sie aber schöne lange Sätze machen!«
    »Zufrieden?«
    »Nö, Sie ham mich ja nich geküsst.«
    »Das steht nicht auf meinem Programm«, wandte Horace ein. »Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich gebe keineswegs vor, über die physischen Dinge erhaben zu sein. Sie haben durchaus ihren Platz, aber –«
    »Ach, nu sein Sie doch nich so furchtbar vernünftig!«
    »Da kann ich doch nichts dafür.«
    »Ich hasse Menschen, die wie Automaten sind.«
    »Ich versichere Ihnen, ich –«, fing Horace an.
    »Ach, halten Sie doch den Mund!«
    »Meine eigene Rationalität –«
    »Hab ich was von Ihre Nationalität gesagt? Sie sind ›Ämörrikahner‹, stümmt’s?«
    »Ja.«
    »Na, is doch in Ordnung, nix dagegen. Ich wollte halt mal sehn, ob ich Sie dazu bringen kann, dass Sie ein mal was machen, was nich auf Ihrem hochintellellen Programm steht. Ich will einfach wissen, ob dieses, wie ham Sie das nochma genannt – na, dieses Dingsda, wo Sie gesagt ham, dass Sie das sind, das mit die brasilianischen Einsprengsel – ob das auch ’n klitzekleines bisschen menschlich sein kann.«
    Horace schüttelte abermals den Kopf.
    »Ich werde Sie nicht küssen.«
    »Ich bin erledigt«, seufzte Marcia dramatisch. »Sie sehn mich am Boden liegen. Nun muss ich bis ans Ende meiner Tage ohne ein Kuss mit brasilianische Einsprengsel weiterleben.« Sie seufzte. »Na, egal, Omar, komm’ Sie denn wenigstens in meine Show?«
    »Was denn für eine Show?«
    »Ich bin ’ne schlimme Schauspielerin, ich spiel bei Home James! mit.«
    »Operette?«
    »Kann man so sagen – mit ’m bisschen gutem Willen. Da kommt auch ’n brasilianischer Reisfarmer drin vor. Das könnte Sie doch interessieren.«
    »Ich war schon mal in einer Operette. The Bohemian Girl war der Titel«, überlegte Horace laut. »Hat mir gut gefallen – bis zu einem gewissen Grad.«
    »Dann kommen Sie also?«
    »Nun ja, ich, ähm – ich –«
    »Ach, ich weiß schon – Sie müssen übers Wochenende runter nach Brasilien.«
    »Keineswegs. Es wird mir eine Freude sein, zu kommen.«
    Marcia klatschte in die Hände.
    »Na wunnabar! Denn schick ich Ihnen ein Billett – Donnerstagabend?«
    »Nun ja, ich –«
    »Gut! Also Donnerstagabend.«
    Sie stand auf, trat ganz nah an ihn heran und legte ihm die Hände auf die Schultern.
    »Sie gefallen mir, Omar. Tut mir leid, dass ich Sie so auf ’n Arm genommen hab. Ich fand Sie etwas steif, aber einklich sind Sie ja ’n richtig netter Junge.«
    Er betrachtete sie ironisch.
    »Ich bin etliche tausend Generationen älter als Sie.«
    »Dafür hamse sich aber gut gehalten.«
    Sie schüttelten einander würdevoll die Hand.
    »Marcia Meadow, mein Name«, sagte sie mit Nachdruck. »Müssense sich merken – Marcia Meadow. Und Charlie Moon werd ich erzählen, dass Sie nich zu Hause waren.«
    Eine Minute später, sie hüpfte gerade die letzte Treppe hinunter, immer drei Stufen auf einmal, hörte sie vom obersten Absatz her eine
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