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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition)
Autoren: Alison Littlewood
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versuchen sollte, durch die Glaseinsätze zu spähen. Aber Ben würde sie vielleicht sehen, und Sally würde ihren Sohn aufgrund dessen womöglich bereits an seinem ersten Tag in Verlegenheit bringen.
    Also wandte sich Cass nach einer Weile ab und ging allein in Richtung Ausgang davon.
    Hinter der glänzend lackierten Eingangstür der Mühle erwartete sie Stille. Cass war schon auf dem Weg zum Treppenaufgang, als ihr die geschlossenen Türen einfielen, die sie in ihrem Stockwerk erwarteten. Sie änderte ihre Meinung und ging stattdessen durch die Tür, die aus der Eingangshalle in den Vorraum des Erdgeschosses führte. Mit seinem roten Teppichboden und den weißen Türen sah er genau wie der im ersten Stock aus. Die Apartments hier waren von 1 bis 6 nummeriert. Cass ging die Reihe entlang und horchte auf irgendwelche Laute, aber hinter den Türen blieb es still.
    Sie machte kehrt und klopfte diesmal leise an jede Tür, an der sie vorbeikam. Als sie die Wohnung erreichte, die genau unter ihrer lag, ließ sie ihre Hand auf der Türklinke ruhen, während sie horchte, und spürte, wie sie unter ihrem Griff nachgab.
    Cass packte fester zu und drückte die Klinke herab. Dabei war ein Klicken zu hören.
    Sie sah sich in dem Vorraum um und stellte fest, dass sie nach wie vor allein war. Sie starrte die Nummer 6 aus Messing an, dann stieß sie die Tür mit einer Hand auf, während sie mit der anderen anklopfte. Ihre Lippen bildeten ein Hallo, aber irgendwie brachte sie keinen Ton heraus; die Geräuschlosigkeit der Mühle hatte ihre Stimme verschluckt.
    Cass stellte mit einem Blick fest, dass sie sich die Mühe des Anklopfens hätte sparen können: Das Apartment war nicht nur leer, sondern befand sich noch im Rohbau. Der Fußboden bestand aus nackten Bodendielen, und sie sah sofort, weshalb die Wohnung so kalt war. Die Fenster waren unverglast, sodass nichts das Einströmen der beißend kalten Luft verhinderte. Sie wurde auch von keinen Wänden aufgehalten, denn die bestanden vorerst nur aus Holzgerüsten, die mit Gipskarton beplankt werden sollten. Zwischen den Kanthölzern konnte Cass Leitungsbündel sehen, die zu lose auf dem Boden liegenden Steckdosen führten.
    Sie durchquerte den Raum, wobei ihre Schritte auf den Dielen hallten, und sah aus dem Fenster. Der Bagger stand noch immer zwischen den Kieshaufen. Das Führerhaus war leer. Sie sah auf ihre Armbanduhr: Kurz vor zehn Uhr an einem Montagmorgen, und die Bauarbeiter waren nicht gekommen.
    Sie sah zu Boden und entdeckte dort etwas: halb in einem Haufen aus Abfällen und Hobelspänen begraben lag eine Kinderpuppe. Cass hob sie auf und klopfte sie ab. Zwei Fetzen Stoff waren ungefähr in Menschenform zugeschnitten und zusammengenäht worden, aber das Ergebnis sah erbärmlich aus, und das Gewebe war fleckig und schimmelig. Die Puppe erinnerte sie an einen Lebkuchenmann. Das Haar bestand aus einzelnen Wollfäden, und das Gesicht war aufgemalt. Hingekritzelte Linien deuteten ein Top und einen Rock an. Cass brachte sie näher an ihr Gesicht heran; sie roch eigenartig. Sie konnte schon viele Jahre alt sein, hatte vielleicht jemandem gehört, der in der Mühle arbeitete, aber so sah sie eigentlich nicht aus. Das Gesicht schien mit einem Filzschreiber aufgezeichnet zu sein.
    Sie sah erneut zu Boden und entdeckte eine weitere Puppe, die jedoch kleiner war. Anscheinend sollte sie einen Jungen darstellen. Er trug ein T-Shirt und Shorts.
    Cass verzog das Gesicht und ließ die Puppe fallen. Sie hatte das Gefühl, als seien ihre Fingerspitzen vom Staub besudelt.
    Aus den Wohnungen im zweiten Stock sowie den drei Penthouses drang ebenfalls kein Laut. Cass rüttelte auch hier an den Klinken, wurde kühner und drückte gegen die Türen, weil sie sich danach sehnte, die Aussicht von ganz oben zu genießen, aber sie fand keine Tür, die sich öffnen ließ.
    Als Cass in ihr eigenes Stockwerk zurückkam, sah sie unter der Tür von Nummer 10 eine Zeitung stecken, die halb hindurchgeschoben war. Sie blieb kopfschüttelnd stehen. Eigenartig, dass jemand heraufgekommen war, um sie zuzustellen, wo es doch im Erdgeschoss Briefkästen gab. Sie trat näher und klopfte an die Tür.
    Sie wartete. Niemand kam. Cass horchte auch an dieser Tür, hörte aber nichts; die Bewohner mussten ausgegangen sein.
    Auch ihr Klopfen an die übrigen Wohnungstüren blieb unbeantwortet.
    Sie dachte an ihr Gespräch mit dem Immobilienmakler. »Die Nummer zwölf ist frei«, hatte er gesagt, als sei das eine
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